250 Claudia Kayser-Kadereit die der Musik – ihr Maß in sich selbst « habe.2 Der von Augustinus aus dem 4. Jahr-hundert stammende Ausspruch » Musica est scientia bene modulandi « nimmt so-wohl die elementare Bedeutung der Musiktheorie für die Entwicklung der Musik als Wissenschaft als auch das » Gute […] als Ziel des Lebens, […] die Weltordnung als ideales Maß « und das » Vermögen des Menschen, sein Leben gleichermaßen gut und schön zu ›komponieren‹« 3 in den Blick. Renaissance und Frühe Neuzeit entwi-ckelten sowohl die Subjektivierung von ›Harmonie‹ als auch eine Universalisierung, indem versucht wurde, » die Künste unter dem Aspekt allgemein geltender Regeln zu systematisieren und in einer frühen Korrespondenzlehre Worte, Farben, Töne, Affekte und Zahlen miteinander zu verbinden « .4 Im 18. Jahrhundert übernahm die Musik eine Leitfunktion als ästhetische Kategorie des Harmonieverständnisses, in-dem Leibniz den Begriff der » Einheit in der Vielfalt « prägte, den Alexander Baum-garten auf die Erkenntnis des Schönen und die Prinzipien der Stimmigkeit (Natur-ordnung, Proportionen, Logik) hin präzisierte.5 In den zweihundert Jahren zwi-schen dem » Traité de l’harmonie « Rameaus (1722) und der Harmonielehre Schön-bergs (1911) standen Musiktheorie und Harmoniebegriff stets im Kräftefeld von Vernunft und Gefühl, Lehrfach und Alltagswahrnehmung, Wissenschaft und bür-gerlichem Gesangsverein.6 Die zunehmende Bedeutung der Dissonanz gegenüber der Konsonanz im 20. Jahrhundert öffnete die auf die reine Satzlehre verengte Mu-siktheorie wieder für die verschiedensten Konstruktionsanalysen, die von der Phy-sik bis zur Weltmusik, von der audiovisuellen Wahrnehmung bis zur Musiktherapie reichen.7 Der Aufbau der folgenden Darstellung folgt nun, in einer gewissen spielerischen Reminiszenz an historische Dimensionen der abendländischen Geistesgeschichte, logisch-rhetorischen Topoi, die ihre Stringenz seit der Antike nicht eingebüßt haben: Der klassische Schulhexameter » quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando « , oder die sieben ›W-Fragen‹ heutiger Schulpädagogik » wer, was, wo, wo-mit, warum, wie, wann « mögen helfen, eine komplexe Realität komprimiert darzu-stellen sowie unter ›ergo‹ einige handlungsorientierte Anregungen in der Schnitt-menge von Musikpädagogik und Erwachsenenbildung zum Thema ›Musiktheorie‹ zu geben. 2 Carl Dahlhaus: Was heißt » Geschichte der Musiktheorie « , in: Zaminer: Geschichte der Musiktheorie, Bd. 1, S. 8-39, hier S. 12 (s. Anm. 1).3 Karl Heinrich Ehrenforth: Geschichte der musikalischen Bildung. Eine Kultur-, Sozial- und Ideenge-schichte in 40 Stationen von den antiken Hochkulturen bis zur Gegenwart, Mainz u. a. 2005, S. 123.4 Claudia Albert: Harmonie, in: Ästhetische Grundbegriffe, hrsg. von Karlheinz Barck u. a., Stuttgart 2001, Bd. 3, S. 8.5 Gottfried Wilhelm Leibniz: Die philosophischen Schriften (1687), hrsg. v. C. I. Gerhardt, Bd. 3 (1887; Hildesheim 1960), S. 52 und Alexander Baumgarten: Aesthetica 1750 / 1758, beides zitiert bei Albert: Art. Harmonie, S. 9 (s. Anm. 4).6 Vgl. Carl Dahlhaus: Die Musiktheorie im 18. und 19. Jahrhundert. Erster Teil: Grundzüge einer Syste-matik (= Geschichte der Musiktheorie 10), Darmstadt 1984, S. 1.7 Ebd., S. 6–9 und Albert: Harmonie, S. 24 (s. Anm. 4).