Gavin Bryars, ein untergehendes Schiff und Jesu Blut Ildikó Keikutt-Licht In den 1970er Jahren breitet sich die Minimal Music auch über die Grenzen Ameri-kas aus, nicht zuletzt aufgrund der engen Kontakte zwischen europäischen und amerikanischen Komponisten. Die Adaption erfolgt dennoch nicht eins zu eins, son-dern erfährt eine europäische Wandlung. Spielen in Amerika ethnische Einflüsse so-wie latent die Entsubjektivierung des Stils basierend auf John Cages Idee der » Nichtintentionalität « von Klängen eine Rolle, kommt es in Europa viel stärker zu absolut individuell geprägten minimalistischen Konzepten. Besonders in England, so beschreibt Michael Nyman – selbst Vertreter der englischen Minimal-Szene – in seinem Buch » Experimental Music. Cage and Beyond « , entsteht in diesen Jahren mit dem Rückgriff auf Tonalität ein » Kult des Schönen « :Around 1969 and 70 a ›cult of the beautiful‹ was beginning to develop. But unlike the Americans, in whose music one can find parallels with a number of non-western ethnic musics […], English composers have tended to use as their source material the music of Western classical composers.1 Mit diesem » Kult des Schönen « entwickelt sich eine breite und vielseitige Minimal-Szene in England, die sich mit Namen wie Cornelius Cardew, Christopher Hobbs, Howard Skempton, Hugh Shrapnel u. a. verbindet. Zu beachten ist aber ebenso die Präsenz der Experimental Music. Das Nebeneinander von experimentellen und mini-malistischen Ansätzen macht die Grenzen zwischen beiden Bereichen oftmals flie-ßend, sodass minimalistische Werke teilweise auf experimentelle Ideen rückführbar sein können.Wegweisend – das hebt Nyman im obigen Zitat hervor – ist für die englischen Komponisten von Beginn an die Auseinandersetzung mit der abendländischen Kunstmusiktradition. Dieser grundlegende Unterschied zur amerikanischen Mini-mal Music ist für die Ausprägung des » Kults des Schönen « maßgeblich. Am Beispiel von Gavin Bryars und dessen in den Anfängen dieses Kults entstandenen Werken » The Sinking of the Titanic « und » Jesus' Blood Never Failed Me Yet « soll dem Um-gang mit der musikgeschichtlichen Tradition nachgespürt werden.Gavin Bryars greift immer wieder auf Fragmente der Musikgeschichte zurück. Die-ses wird besonders in den seit seiner Oper » Medea « (1984) entstandenen Werken 1 Michael Nyman: Experimental Music. Cage and Beyond, Cambridge 1999, S. 157.