284 Ildikó Keikutt-Licht other acoustic spaces: the water tower at Bourges and an art nouveau swimming pool in Brussels for example.« 7 Die Grundidee des Werks basiert auf der Vorstellung vom Untergang der Titanic während die Kapelle an Bord noch spielte. Diese Idee, so Paul Griffiths, implantiert der Komposition bereits die Wiederholung als kompositorisches Merkmal, da die Kapelle – so wird berichtet – bis zum endgültigen Untergang ein Stück immer wie-der spielte.8 Bryars weitet dieses überlieferte Detail aus. Damit entdeckt er in der schaurigen Faszination vom Untergang des Ozeanriesen, die sich seit 1912 ungebro-chen aufrecht hält, einen gänzlich neuen Aspekt: » Ich war fasziniert von der Vorstel-lung, dass die Musik auch noch am Meeresgrund weiterklingt, dass sich seit 1912 diese letzten fünf Minuten in einer ewigen Klangschleife immer weiterdrehen.« 9 Zum einen lehnt sich Bryars, wie Fabian Lovisa in seinem Buch » minimal-music « anmerkt, an die Ansicht des italienischen Ingenieurs und Physikers Gugliel-mo Marconi an, der die » These von dem nicht versiegenden Schall, der Fortdauer einmal intonierter Töne, formuliert. Musik, die einmal gespielt worden ist, wird wie jedes Geräusch auch nach dieser These lediglich schwächer, doch verklingt nicht.« 10 Zum anderen erhöht Bryars den Gestus endlosen Fortlaufens minimalistischer Mu-sik, indem er ihn in den Zusammenhang einer schon weit in der Vergangenheit be-gonnenen und zukünftig ewig fortdauernden geschichtlichen Zeitspanne stellt. Die in den letzten Minuten an Bord des Schiffes intonierte Musik ist wie in einem Vaku-um im Wrack für immer konserviert. Diese Verknüpfung einer Komposition mit einem ästhetischen Konzept definiert auch ihre Andersartigkeit gegenüber den Werken anderer Minimalisten. Bryars frü-he Kompositionen können nicht unter rein musikanalytischen Gesichtspunkten be-trachtet werden, sondern transportieren eine den Hörer emotional stark beeinflus-sende Metaebene. In seinem Werk » The Sinking of the Titanic « greift Bryars auf die Musik zurück, die tatsächlich durch das Orchester auf der Titanic bis zum Unter-gang ohne Unterbrechung gespielt worden sein soll. » Als Vorlage benutzte ich die Musik, die während der letzten fünf Minuten auf der Titanic gespielt wurde, und weil die Kapelle immer weiter spielte, stellte ich mir vor, die Musik würde auch un-ter Wasser weitergehen.« 11 Er stützt sich dabei insbesondere auf den Bericht des Bordfunkers Harold Bride. Dieser erzählt, wie die Kapelle, ein Streichsextett, zuletzt als das Schiff schon nahezu senkrecht stand, die Hymne » Autumn « intonierte. Zu-vor, während er noch an Bord arbeitete, so bemerkt Bride, sei ein Ragtime zu hören gewesen. Neben den Stücken der Kapelle greift Bryars noch auf eine Reihe anderer ›Dokumente‹, die mit dem Unglück in Zusammenhang stehen, zurück. Er integriert beispielsweise den Augenzeugenbericht der Überlebenden Eva Hart, Unterwasser-aufnahmen der Hymne » Autumn « , Morse Codes übertragen auf Schlagzeug sowie 7 Ebd.8 Paul Griffiths: Modern Music and after, New York 2010, S. 240.9 Gavin Bryras in: Andreas Skipis: Klänge zum Untergang der Titanic, 02:25 (s. Anm. 2).10 Fabian Lovisa: minimal-music. Entwicklung, Komponisten, Werke, Darmstadt 1996, S. 143.11 Gavin Bryras in: Andreas Skipis: Klänge zum Untergang der Titanic, 01:44 (s. Anm. 2).