Gavin Bryars, ein untergehendes Schiff und Jesu Blut 285 eine Musicbox, die zur Belustigung eines Kindes in einem der Rettungsboote einge-setzt wurde.12 Im Zentrum der Komposition steht jedoch die genannte Hymne. Sie bildet den Fixpunkt, um den sich alle weiteren musikalischen Ereignisse ranken. Bryars ent-schied sich für die Hymne » Autumn « , obgleich die Augenzeugenberichte sich nicht einig sind, ob die Kapelle » Autumn « oder » Näher, mein Gott, zu Dir « spielte. » Au-tumn « gibt dem Werk die entscheidende Grundstimmung. In sehr weichem Streicherton erklingt die schlichte Melodie in einem einfachen Choralsatz das erste Mal nach dem akustischen Zerbersten des Schiffes. Ein dreima-liger Glockenschlag, wie das Schlagen einer alten Kirchturmuhr, entführt den Hörer in das Umfeld der Tragödie vom 15. April 1912. Das vernehmbare Knarren und Rauschen sowie ein Geräusch, das an Vogelschreie erinnert, zeichnen das Auseinan-derbrechen und Sinken des riesigen Schiffes nach. Mit dem Absinken des Schiffes auf den Meeresgrund verschwindet auch die Hymne in den Tiefen des Wassers, er-hält sich aber als ewiger Loop. Dennoch ist für die Wirkung der Komposition nicht allein entscheidend das geloopt wird, sondern was geloopt wird. Die zentralen musikalischen Ereignisse Bryascher ›Konzeptkunst‹ faszinieren nicht durch satztechnische Raffinessen. Sie sind vielmehr einfach und schlicht ge-halten. Ihre Faszination auf den Hörer liegt vor allem auch in außermusikalischen Aspekten. In » The Sinking of the Titanic « verbindet sich die Hymne sowohl mit reli-giöser Hoffnung – Hoffnung auf Gottes Beistand im Tod – als auch mit dem konkre-ten Schicksal der Musiker und Passagiere, die die Hymne spielten oder hörten. Bryars zwei Jahre später entstandene Komposition » Jesus' Blood Never Failed Me Yet « besticht über den Gesang des alten, obdachlosen Mannes ebenso durch reli-giöses Vertrauen – » das Blut Jesu hat mich noch nie enttäuscht « – in einer be-drückenden sozialen Lage. Diese Nähe zur Spiritualität wirkt enorm auf den Cha-rakter beider Kompositionen. Obgleich Bryars sich weniger zum Christentum, denn zum Buddhismus hingezogen fühlt. Die Annäherung an fernöstliche Glaubensvor-stellungen zieht, laut Bryars, auch musikalische Konsequenzen nach sich. Die Musik neigt mehr zur Stille. Die dynamischen Verläufe sind im allgemei -nen etwas langsamer im Tempo, aber dennoch nicht völlig statisch. Die Stim-mung tendiert einfach zur Ruhe. Es kann dennoch einige rasche und recht lau-te Passagen in der Mitte eines Stückes geben, aber der Eindruck am Ende wird doch der einer ziemlich langsamen und recht ruhigen Musik sein und das rührt indirekt vom Buddhismus her.13 Wenn sich auch Bryars in seiner religiösen Ausrichtung auf den Buddhismus be-zieht, so treffen beide Werke in ihrem Hang zu Ruhe und meditativer Wiederkehr ebenso den Ausdruck der Stücke » Autumn « sowie » Jesus' Blood Never Failed Me Yet « , die eindeutig christlicher Tradition entstammen. » Autumn « gliedert sich hör-12 Vgl. Andrew Hugill Thomson: The Apprentice in the Sun, S. 725 (s. Anm. 3). 13 Gavin Bryras in: Andreas Skipis: Klänge zum Untergang der Titanic, 32:34 (s. Anm. 2).