Die 6. Sinfonie von Hans Werner Henze: Möglichkeiten der Komposition mit Wahrnehmungsblöcken Die 6. Sinfonie von Hans Werner Henze Christoph Louven 1 Die 6. Sinfonie im Schaffen Henzes Die im Jahr 1969 entstandene Sechste Sinfonie nimmt im Schaffen Hans Werner Henzes in vielerlei Hinsicht eine besondere Stellung ein. 1969 lag die Fünfte Sinfo-nie bereits sieben Jahre zurück, sieben Jahre allerdings, die für die persönliche und künstlerische Entwicklung Henzes von entscheidender Bedeutung waren. Werke wie die Opern » Der junge Lord « (1964) und » Die Bassariden « (1965), die » Törless « -Musik (1966), » Das Floß der Medusa « (1968) und der » Versuch über Schweine « (1968) liegen zwischen beiden Sinfonien. Gerade die beiden letztgenannten zeigen die Tendenz einer zunehmenden Politisierung in der Wahl der Sujets: » Das Floß der Medusa « , nach einem Text von Ernst Schnabel, stellt vor dem Hintergrund eines Schiffsunglücks eine flammende Anklage gegen die Unterdrückung der Menschen durch eine feiste, privilegierte Oberschicht dar. Das Stück, dessen Hamburger Ur-aufführung 1968 im Dunstkreis der Studentenunruhen einen ungeheuren Skandal auslöste, ist dem Gedenken des im Oktober 1967 in Bolivien erschossenen kubani-schen Revolutionshelden Che Guevara gewidmet. Auch der » Versuch über Schwei-ne « auf einen Text des damals in Berlin lebenden chilenischen Autors Gastón Salva-tore ist ein eminent politisches Stück: Thematisiert wird die Titulierung der aufsäs-sigen linken Studentenschaft der 68er als » Schweine « durch die Springer-Presse. Auch die persönliche Entwicklung Henzes spiegelt in dieser Zeit ein zunehmen-des politisches Engagement. Bereits 1966 engagiert er, der zu diesem Zeitpunkt 40-Jährige, sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Zwei Ereignisse scheinen diese Entwicklung quasi als Kristallisationskeime zu befördern: Die Revo-lution Fidel Castros auf Kuba 1959/60 und das militärische Eingreifen der USA in Vietnam seit 1965. Gerade die kubanische Revolution und ihre Anführer Castro und Che Guevara finden in Henze einen glühenden Anhänger, sodass er im April 1969 erstmals als Gast des kubanischen Nationalrats für Kultur in Havanna weilt.Die Sechste Sinfonie spiegelt in vielfältiger Weise diese Entwicklungen. Der sich selbst auf dem Weg zum proletarischen Künstler sehende, nach eigenem Bekunden » zur Arbeiterklasse aufsteigende « 1 Komponist versucht in diesem Stück die Versöh-nung zwischen einer als bürgerlich-elitär und menschenfern empfundenen musika-1 Vgl. Hansjörg Pauli: Für wen komponieren Sie eigentlich?, Frankfurt/Main 1971, S. 80.