Die 6. Sinfonie von Hans Werner Henze 313 Henze im 11/4-Takt am Ende von 40 durch ein langgedehntes Crescendo von pp bis ffff. Auch der nachfolgende Block 41 unternimmt mit seinem aufsteigenden vierteltönigen Glissando in Verbindung mit einem Crescendo als Element IB2 einen weiteren Versuch. Block 42 als Zielpunkt dieser Entwicklung bringt ebenfalls nicht die erwartete Entspannung, gleichwohl aber eine Überraschung: der kaum veränderte Blechsatz aus IF wird gekoppelt mit einem gänzlich neuen Element, nämlich einem sehr präg-nanten Schlagzeugsatz aus Bongos, kleiner Trommel, Maraca und Guiro: IF2. Auch dieser Block endet mit einer Steigerung hin zu Block 43. In Block 43 wird der Schlagzeugsatz aus 42 fortgeführt, tritt somit aus dem Schatten des Bläsersatzes heraus und erhält eine eigene Identität. Die Wirkung dieses Blocks ist sonderbar: zum einen ist der nun gänzlich » nackte « Schlagzeugsatz eine völlig neue, aber fesselnde Erfahrung, gleichsam als entdecke man in einem mit wachsen-der Spannung geöffneten Paket ein zwar unerwartetes, aber höchst interessantes Objekt; zum anderen liegt hierin auch die Komponente einer enttäuschten Erwar -tung. Dies führt zu einer sehr ambivalenten Wirkung, die den Hörer in einem irri-tierten Zustand zurücklässt. Erst der abschließende Block 44 bringt die abschließende Steigerung. Alle Ele-mente aus I werden in Kombination eingesetzt, allerdings deutlich intensiver und dichter als in den vorangegangenen Variationen dieses Materials. Dieser letzte Block sei mit I3 bezeichnet.3.3 Die Beziehung zur Sonatenhauptsatzform Die in Kapitel 3.2. detailliert erläuterten Zusammenhänge erlauben nun eine Ant -wort auf die zu Anfang aufgeworfene Frage, ob sich im ersten Teil der Sinfonie Be-züge zur Sonatenhauptsatzform finden. Hierzu sind die Materialbezüge der einzel-nen Blöcke grafisch dargestellt (Abb. 2).Deutlich erkennt man zu Beginn zwei in sich abgeschlossene Großabschnitte. Die Geschlossenheit wird – auch im unmittelbaren Höreindruck – erreicht durch eine zyklische Grundkonzeption beider Teile. Daneben findet man in diesen Groß-abschnitten eine interessante Binnenstruktur: einer im Grundmaterial nur wenig veränderten Grundschicht aus I- bzw. IV-Material wird eine zweite Schicht mit Ent-wicklungselementen zur Seite gestellt. Dies ist im ersten Großabschnitt die Entwick-lung von II über II' nach III (also zur Synthese von I und III), im zweiten Großab-schnitt die bereits dargelegte Entwicklung von V über V2 nach IC.Die formale Abgeschlossenheit wird unterstrichen durch das in beiden Abschnit-ten über weite Strecken gleiche Grundtempo von MM 92 bzw. Meno mosso. Bedenkt man hierzu besonders den lyrischen Grundcharakter gerade des Anfangs von IV, so kommt man zu dem Schluss, dass diese beiden Großabschnitte durchaus als Haupt- und Seitensatz einer Sonatensatzexposition angesprochen werden können und so-mit das für die Sonatenform charakteristische duale Prinzip bei Henze verwirklicht ist.