318 Christoph Louven Deutlichkeit gewänne, wenn die Prägnanz der Charaktere auf lokaler Ebene zu-gunsten des Gesamtzusammenhangs zurückgenommen wäre. Henze hat später das grundlegende Problem dieses Stückes gesehen, er hat erkannt, dass die von ihm ge-wollte » proletarische Sinfonie « letztlich an den inneren Widersprüchen der gewähl-ten Mittel gescheitert ist:Ich habe mich einmal tatsächlich bemüht, mit Gewalt loszukommen von mei-ner musikalischen Vergangenheit. Das war in der 6. Sinfonie, die im Novem-ber 1969 in Habana uraufgeführt worden ist. Ich wollte da meine Erfahrungen, die Erfahrungen eines Bourgois, der die herrschende Klasse zwanzig Jahre lang mit Musik beliefert hat, dazu benützen, um eine Musik gegen die Bour -geoisie zu komponieren. Statt Nostalgie und Skepsis wollte ich Affirmation, direktes Bekenntnis zur Revolution. … Inzwischen habe ich das Stück mehr-fach dirigiert und weiß, dass ich es nicht geschafft habe. Neu an dieser Sinfo-nie ist für mich nur, dass die Sprachprobleme bewußt vorgetragen sind, dass die Niederlagen eingestanden sind und die Unmöglichkeit, heute noch Sinfo-nien zu machen, nicht verschleiert wird. Aber Affirmation kam nicht zuwege. Es wurde ein Bericht von den Schwierigkeiten, nicht mehr.11 11 Vgl. Hansjörg Pauli: Für wen komponieren Sie eigentlich?, S. 73 (s. Anm. 1).