Dietrich Bonhoeffer und sein Klavier 321 rufs-Pianisten nicht gewachsen. » Dazu « , so soll er zu seiner Mutter gesagt haben, » reicht mein Können nicht. Und halbe Sachen mache ich nicht.« 8 Wir finden diese Ereignisse widergespiegelt in seinem umfangreichen Ro-man-Fragment, das er 1943 im Gefängnis Berlin-Tegel verfasst hatte.9 Eine der Hauptfiguren dieses Romans hieß Klara, – vermutlich ein Pseudonym für Dietrich selbst. Er identifiziert sich mit Klara. Warum nannte er die Hauptfigur » Klara « ? In Anlehnung an Clara Schumann oder an seine Großmutter Clara von Hase? Wir wis-sen es nicht. Und warum identifizierte er sich mit einer Frau? Wir wissen es nicht. Vielleicht wollte er sich verfremden. Wir wissen es nicht. Wir wissen aber, dass er seine Jugend und sein Familienleben aufarbeitete, wenn er Klara » täglich das Wohl-temperierte Klavier von J. S. B.« spielen ließ und wenn sie auf einem Spaziergang gegenüber Frau Bremer äußert: Es gibt keinen Karfreitag, an dem wir nicht in der Familie die Matthäus-Pas-sion hören; und in jedem Jahr hören wir die h-Moll-Messe mindestens einmal. Ich verstehe es gar nicht, dass die Leute diese Musik so schwer verständlich finden, für mich ist sie die klarste und durchsichtigste Musik, die es gibt. Aber die Mutter ist auch nicht ganz unserer Meinung. Sie liebt Brahms und Richard Strauß mehr und singt deren Lieder sehr schön.10 Auf dem gleichen Spaziergang fragt Frau Bremer Klara: » Willst Du Musikerin wer-den?« Woraufhin diese – in der Rolle Dietrichs – klipp und klar antwortet: » Nein, daran habe ich nie gedacht. Dazu reicht es auch bei weitem nicht. Und etwas Hal-bes möchte ich nicht anfangen.« 11 Der Roman wurde von Dietrich nicht vollendet. Er blieb ein Fragment. Vielleicht fühlte er sich zu einer solchen Art » Autobiographie « noch nicht legitimiert. Wir wis-sen es nicht. Aber es ist interessant, dass er sein Klavier derart ins Zentrum seiner Jugend gestellt hat. Er wollte kein Berufspianist werden. Aber ein Leben ohne Kla-vier und ohne Klavier-Musik konnte er sich im Rückblick aus dem Gefängnis 1943 nicht vorstellen. Das gibt zu denken.3 Der Flügel in der Marienburger Straße in Berlin und während des Vikariats in Barcelona (1924 – 1933)1923 absolvierte der 17-Jährige sein Abitur in Berlin-Grunewald. Der Flügel im el-terlichen Haus in der Marienburger Straße wurde täglich bespielt. In seinem Ar-beitszimmer oben im 1. Stock hatte Dietrich kein Klavier. Er benutzte den Familien-Flügel im Wohnzimmer. 8 DBW VII, S. 141f. (s. Anm. 2), im Rahmen des Romans » Klara « .9 Vgl. ebd., S. 73–191. Der Roman trägt keinen Titel.10 Ebd., S. 141.11 Ebd., S. 141f.