Dietrich Bonhoeffer und sein Klavier 323 le in Süd-London und blieb dort bis zum März 1935. Auch dorthin hatte er seinen elterlichen Flügel beordert. Er konnte ohne ihn nicht leben. In seiner deutschen Lon-doner Gemeinde organisierte er Kirchenmusikensembles, Trios und Quartette und musizierte zusammen mit den Familien Withbun und Lokies.14 In London äußerte er sich dezidiert zum Zusammenhang von Musik und Got-tesdienst. Am Sonntag Kantate, dem 29. April 1934, hielt er nämlich eine Predigt über Psalm 98, 1 (» Singt dem Herrn ein neues Lied « ) und ließ sich dabei ausführlich zur Bedeutung der Musik im Gottesdienst aus.15 Seine Hauptthese kleidete er in ein Gleichnis: » Des Menschen Seele ist eine Harfe und das Wort Gottes, das die Seele trifft, ist der Harfner. Und je reiner und unverstimmter die Saiten der Harfe sind, desto reiner und klarer klingt das Lied, das aus der Seele dringt zum Lob des Harf -ners.« 16 Von Gott als Harfner unterschied er Menschen als Harfner, wenn er fort-fuhr: Es kann freilich auch sein, dass irgendein (menschlicher) Sturm über die Sai-ten dahin fegt und sie zum Erklingen bringt. Ein Sturm der (menschlichen) Leidenschaft, ein Sturm des Aufruhrs, der Empörung gegen das Schicksal, vielleicht auch ein leises Klagen und Weinen – und dann wird … die Musik …die Verherrlichung, die Gloriole unserer selbst, unserer Leidenschaft, unserer Liebe, unseres Hasses, unserer Verzweiflung, unserer Trauer und unseres Kraftgefühls.17 Und als Folgerung schloss er unmittelbar an: » Das ist der große Unterschied, ob Gott selbst der Harfner ist oder ob es unsere Leiden und Leidenschaften sind, ob un-ser Singen und Musizieren allein die Ehre Gottes und Jesu Christi verkünden will oder ob der Mensch ihr Maß und Mittelpunkt ist.« Er unterschied Bach und Beethoven nach diesem Kriterium, ob Gott oder der Mensch den Menschen (als Harfe) bespielt, als er in seiner Predigt unmittelbar fort-fuhr: Bach hat über alle seine Werke geschrieben: soli deo gloria – oder Jesu iuva, und es ist als ob seine Musik nichts anderes wäre als ein unermüdlicher Lob-preis dieses Gottes – und es ist andererseits, als ob die Musik Beethovens nichts anderes wäre als der unvergängliche Ausdruck menschlichen Leidens und menschlicher Leidenschaft. Darum können wir Bach im Gottesdienst hö-ren und Beethoven nicht.18 Pfarrer Dr. Lorenz Wilkens wies mich darauf hin, dass Bonhoeffer hier vermutlich von Karl Barths radikaler Unterscheidung zwischen Gott, » dem ganz Anderen « und der menschlichen Welt beeinflusst war. » Dem ganz Anderen « , so Barth, gebühre 14 DB, S. 383 (s. Anm. 3).15 DBW XIII, S. 351–356 (s. Anm. 2).16 Ebd., S. 354.17 Ebd.18 DBW XIII, S. 354 (s. Anm. 2).