328 Reinhold Mokrosch ihn im Gefängnis. Er parallelisierte Schütz' Situation im 30-jährigen Krieg mit seiner eigenen Kriegssituation.30 Und er sehnte sich wie Schütz nach einer » Wiederbrin-gung des Verlorenen « , d. h. nach Befreiung, wenn er an Bethge schrieb: » Ist dieser Passus [sc. das augustinische ›O bone Jesu‹ von Schütz] nicht in gewisser Weise, nämlich in seiner ekstatischen, sehnsüchtigen und doch so reinen Andacht auch so etwas wie die Wiederbringung alles irdischen Verlangens?« 31 » Wiederbringung al-les irdischen Verlangens « – das hieß: Sehnsucht nach Wiederherstellung des Zu-stands vor seiner Gefangennahme. Bonhoeffer litt unter seiner Sehnsucht nach Be-freiung. » Nach meinen Erfahrungen gibt es nichts Quälenderes als Sehnsucht!« 32 Aber er versagte sich einen Ersatz für das Verlorene. » Es ist nichts verkehrter, als den Versuch zu machen, in solchen Zeiten sich irgendeinen Ersatz für das Unerreichbare zu schaffen.« 33 Er zwang sich, seine Sehnsucht nach Klavier und Musik durchzuhal-ten und nicht zu verdrängen oder zu ersetzen.Diese Haltung unterstrich er mit seiner späteren Begeisterung für Griegs Solvejg-Lied aus » Peer Gynt « . Am 30. Mai 1944 schrieb er nämlich an Eberhard Bethge: [Dieses Lied hat mich] richtig ergriffen. Treues Warten durch ein ganzes Leben hindurch, das ist der Triumph über die Feindseligkeit des Raumes, d. h. über die Trennung, und der Zeit, d. h. über die Vergänglichkeit. Glaubst Du nicht, dass solche Treue allein glücklich macht und Untreue unglücklich?34 Bonhoeffer hatte sich entschlossen, dem Entbehrten treu zu bleiben und unver-brüchlich auf dessen Wiederbringung zu hoffen. Die Lieder von Hugo Wolf, Hein-rich Schütz und Edvard Grieg hatten ihn dazu befähigt.(b) Von großer Bedeutung wurde für den inhaftierten Bonhoeffer auch Bachs » Kunst der Fuge « , – weil sie ein Fragment geblieben ist. 1940 hatten er und Bethge, wie erwähnt, ja eine Fassung für Klavier und Cembalo/Spinett erworben und inten-siv gespielt. Jetzt in der Gefängniszelle erhielt das Werk größte symbolische Bedeu-tung für ihn. Am 23. Februar 1944 schrieb er wieder an Bethge: » Es gibt schließlich Fragmente, die nur noch auf den Kehrichthaufen gehören […], und solche, die be-deutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sa-che sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen – ich denke z. B. an die Kunst der Fuge.« Und er zog im nachfolgenden Satz eine Parallele zum mensch-lichen und zu seinem eigenen Leben, als er fortfuhr: Wenn unser Leben auch nur ein entferntester Abglanz eines solchen Fragmen-tes ist, in dem wenigstens eine kurze Zeit lang die sich immer stärker häufen-den, verschiedenen Themata zusammenstimmen und in dem der große Kon-trapunkt vom Anfang bis zum Ende durchgehalten wird, so dass schließlich 30 Vgl. ebd., S. 72, 195, 248.31 Ebd., S. 247.32 Ebd., S. 242.33 Ebd., S. 243. Vgl. auch Pangritz: Polyphonie des Lebens, S. 31–35 (s. Anm. 4).34 DBW VIII, S. 456f.