Klimawandel im Klassenraum 335 musste der Fokus der individuellen Förderung auf die Verbesserung der Selbst-steuerung im Bereich negativer Emotionen liegen. Trost und Zuspruch sind in die-sem Fall nicht allein hilfreich. Erst das selbständige Management überschießender negativer Affekte verschaffte dem Intentionsgedächtnis (und damit dem bewussten Ich) den notwendigen Zugang zum Extensionsgedächtnis, das seinerseits eine breite Palette von Verhaltens- und Einstellungsalternativen aus früheren, vergleichbaren Lebenssituationen bereithielt. Mit der Bildung von Handlungsalternativen, z. B. dem sachlichen Äußern des Unmuts, war auch die Möglichkeit gegeben, abzuwar-ten bis sich eine günstigere Gelegenheit zur Verwirklichung eigener choreographi-scher Vorschläge und Ideen abzeichnete.In solchen Zusammenhängen entstehen Diskussionen über die Frage, ob Kinder in Tanzprojekten während des Unterrichts den Raum verlassen dürfen. Das ist zum einen die Frage nach der Aufsichtspflicht, zum anderen nach der Unterrichtsdiszi-plin. Wir achten immer darauf, wo sich jedes einzelne Kind befindet, was es vorhat und wann und wie es ggf. in den Unterricht zurückkommt. Ob Kinder die Möglich-keit haben sollten, sich aus dem Unterrichtsgeschehen herauszuziehen, ist ein grundsätzliches Thema, das auch mit den Studierenden besprochen wird. Der Cho-reograph Royston Maldoom, Hauptperson des Films » Rhythm is it « , schreibt dazu: » Niemand verlässt den Raum.« 4 Ein so grundsätzliches Verbot ist in unseren Pro-jekten nicht erforderlich. Der Unterschied kommt dadurch zustande, dass die Kin-der – wie oben bereits erwähnt – bei uns keine vorgegebenen Choreographien ein-studieren, sondern gemeinsam mit den Studierenden eigene Tänze entwickeln. Das wirkt sich auf die Motivation so aus, dass die Kinder in aller Regel den Unterricht gar nicht verlassen wollen, auch aus Sorge, etwas Wichtiges zu verpassen.Maldooms Erfahrungen sind natürlich unter anderem deshalb mit unseren nicht zu vergleichen, weil es sich bei uns um Schulkinder bis zur sechsten Klasse handelt. Er arbeitet dagegen oft mit extrem schwierigen pubertierenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Nicht zu unterschätzen ist dennoch der für Kinder und Stu-dierende positive Effekt unserer prozessorientierten Arbeitsweise gegenüber pro-duktorientierten Tanzerarbeitungen mit dem Ziel einer zuvor vereinbarten Auffüh-rung. Konflikte können in der Prozessorientierung leichter thematisiert, gelöst und nicht als Hindernisse auf dem Weg zu einer Aufführung, sondern als Entwicklungs-chancen betrachtet werden. Sie geben den Studierenden Anlass zu eingehender Re-flexion in den anschließenden Besprechungen und Klausuren und sind als Motoren der persönlichen und fachlichen Entwicklung auch aus diesem Grund sehr will-kommen. Bezogen auf die oben geschilderte Situation bedeutet das: Verlässt ein Kind freiwillig, auch kurzzeitig, den Raum, können wir regelmäßig davon ausge-hen, dass es ein ernst zu nehmendes und aus seiner Sicht schwer wiegendes Pro-blem hat.Die am Projekt beteiligte Lehrerin berichtete uns, dass es sich um keinen einma-ligen Ausstieg aus dem Unterrichtsgeschehen handelte. In der anschließenden Re-4 Jacalyn Carley: Royston Maldoom. Community Dance. Jeder kann tanzen. Das Praxisbuch, Leipzig 2010, S. 46.