336 Bernhard Müßgens flexion besprachen die Studierenden ihre verschiedenen Standpunkte und persönli-chen Perspektiven auf das Verhalten des Kindes. Sie waren individuell sehr unter-schiedlich. Für diese Reflexion war es hilfreich, die zu besprechende Unterrichts-situation in ihrer räumlichen Struktur zu skizzieren. Wir erstellten eine Raumskizze zur Konfliktsituation aus der Vogelperspektive. Die studentischen Gruppenmitglie-der des Jungen werden ebenfalls in ihren räumlichen Bezügen zueinander und zu den Kindern dargestellt. Raumskizzen schwieriger Unterrichtssituationen helfen den an der Gruppe nicht beteiligten Studierenden, sich die Situation genauer vorzu-stellen. Folgende Fragen waren zu beantworten: Wer befand sich in der Mitte oder in ihrer Nähe, wer mehr am Rand des der Gruppe zur Verfügung stehenden Rau-mes? Wer benötigte viel, wer brauchte wenig Platz? – In der Mitte findet man mehr Beachtung, am Rand ist man unbeobachteter; unsichere Personen fühlen sich dort sicherer. Wer stand neben wem? Welchen Abstand und welche Blickrichtung hatten die Personen zueinander? Standen oder bewegten einzelne Kinder und/oder Studie-rende sich frontal zueinander?Das gegenseitige Gewähren von Raum, Anregung, Unterstützung, Schutz und Begrenzung sind wichtige Hinweise auf Grundbedürfnisse von Kindern in Grup-penprozessen und werden weiter unten thematisiert. Die räumliche Zuordnung hilft auch, sich die fragliche Situation in ihrem emotionalen Gehalt zu vergegenwär-tigen und sich eigener Empfindungen in der Erinnerung und in der Gegenwart be-wusster zu werden. Oft entspannen sich für Studierende belastende Unterrichtserin-nerungen schon durch die Wahrnehmung der eigenen Empfindungen und durch den Austausch in der Arbeitsgruppe. In der Reflexion äußern Studierende auch Un-mut. Gefühle aus der Arbeit in der Gruppe werden anders, oft mit mehr Abstand gesehen. Das » Aufräumen « der fraglichen Unterrichtssituation ist der erste Schritt zur Klärung der eigenen Wahrnehmung und zur Unterscheidung von Wahrneh-mung, Interpretation, Gefühlen und Gedanken. Raumwahrnehmung und Raum-erinnerung sind entwicklungsgeschichtlich älter und an der emotionalen Verarbei-tung stärker beteiligt als die Wahrnehmung und Erinnerung der zeitlichen Abfolge des Geschehenen.Dabei handelt es sich nicht um einen bloßen » Erfahrungswert « , eine » Anmu-tung « . Es gibt vielmehr für diese Behauptung des Vorrangs der räumlichen Darstel -lung und Erinnerung von Unterrichtssituationen für die Konfliktlösung weitere Hinweise. Sie entspricht interessanterweise der Praxis professioneller Klärungshilfe im Berufsalltag und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren. Allerdings habe ich diese Parallelen erst entdeckt, nachdem ich entsprechende Erfahrungen in den Tanzprojekten machte. Im » Pesso Boyden System Psychomotor « , besser bekannt unter dem Kurztitel » Pesso-Psychotherapie « , erfährt der persönlich eingenommene Platz im Raum besondere Beachtung für den gruppentherapeutischen Prozess. Al-bert Pesso und Diana Pesso Boyden, ein amerikanisches Tänzerehepaar, entwickel-ten seit Mitte der sechziger Jahre eine Therapieform, die in den USA, inzwischen auch in vielen Ländern Europas zunehmend Anerkennung und Anwendung findet