338 Bernhard Müßgens sein soll, um sich in ihrem Prozess in für sie guter Weise begleiten lassen zu kön-nen.« 7 Im Klassenraum kann der Platz, den ein Schüler oder eine Schülerin einnimmt, eine ebenso wichtige Rolle spielen. Leider wird dies oft unterschätzt oder überse-hen. Christoph Thomann und Christian Prior erläutern die Bedeutung der Sitzplät-ze als Raumordnung im Band drei ihrer Klärungshilfe. Nach ihrer Erfahrung ist es sinnvoll, den eigenen Ort als Leiter einer Gruppe im Raum vorab aufgrund prakti-scher Kriterien auszusuchen.8 In unseren Tanzprojekten müssen z. B. für die Pro-jektleitung Musikanlage, Kamera und andere technische Geräte leicht erreichbar sein. Dabei spielen die Nähe von Steckdosen, die Lichtverhältnisse und weitere De-tails eine Rolle. Für den Beginn der Entwicklung eigener Tänze in der Schulpraxis ist es in einem zweiten Schritt wichtig wahrzunehmen, wer mit wem zusammen tanzen möchte und wer wen meidet. Die Vorlieben der Kinder sind zu berücksichti -gen. Für die weitere Entwicklung von Tanzprojekten sind dann auch die vertrau-ensvoller werdenden Beziehungen zwischen Studierenden und Schülern wichtig. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, Gruppen nicht ohne zwingende Gründe zu trennen.Grundsätzlich ist die Bedeutung dieser Erfahrung für alle Kinder gleich wichtig. Die beschriebenen Erfahrungen gelten also nicht nur für die unteren Klassenstufen. Aus den Alltagserfahrungen in unseren Tanzprojekten entstehen Hypothesen. Die wichtigsten werden aktuell in standardisierten Übungssituationen überprüft. Einige unserer Hypothesen sind schon bestätigt worden. Andere sind noch offen: Mög-licherweise gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, was die Bedeutung des Raumes für die Gruppensituation betrifft. Bei Jungen (und bei Männern) kann man z. B. beobachten, dass das Territorium von größerer Bedeutung als für Mädchen und Frauen ist. Mädchen fragen eher als Jungen: Wie viel Raum kann und darf ich beanspruchen? Wo ist meine Position innerhalb der Gruppe. Sie stellen sich im Schulalltag oft auf die Raumansprüche der Jungen ein und behaupten sich, wenn es zu Konflikten kommt. Bei der Entwicklung von Tänzen orientieren sich viele Mäd-chen in Gruppen mehr als Jungen an der zeitlichen Struktur. Sie wird in der Regel von der ausgewählten Musik mitbestimmt. Mädchen scheinen im Grundschulalter klarere Vorstellungen davon zu haben, welche Tanzformen und -figuren wann und in welcher Reihe aufeinander folgen. Sie achten auch vermutlich bereits mehr auf musikalische Entwicklungen und Prozesse, sind also stärker auditiv wahrnehmend orientiert. Die Hypothese, dass Jungen sich zunächst mehr im Raum orientieren, wird auch durch die Beobachtung verstärkt, dass sie für ihre Tänze im Entwick-lungsprozess oft Raumwege festlegen und bei der Vorführung spontan entscheiden, wie lange eine zuvor vereinbarte Körperform oder eine Bewegungsfigur dauert. Die Vermutung, dass auch die Gruppenzugehörigkeit von Jungen und Männern sich mehr als bei Mädchen und Frauen durch die räumliche Ordnung definiert, ent-7 Schrenker: Pesso-Therapie, S. 217 (s. Anm. 5).8 Vgl. Christoph Thomann, Christian Prior: Klärungshilfe 3. Das Praxisbuch, Reinbeck bei Hamburg 2007, S. 64.