342 Bernhard Müßgens zunächst während der Stille nicht. Für die Kinder ist anfangs schon die Konzentra-tion auf Musik, Stille und auf den Partner oder die Partnerin eine Herausforderung. Den Kindern macht diese Übung in der Regel große Freude. Sie bemerken, dass ihr Gegenüber genau auf sie achtet. Die nächst schwierigere Aufgabe ist es, zu beob-achten, wer die Bewegung führt und wer folgt. Wenn das klar ist, werden alle Paare gebeten, sich beim Führen und Folgen abzuwechseln. Danach üben sie den Wechsel so zu gestalten, dass man ihn von außen nicht erkennt. Einige Paare von Kindern und Studierenden machen das phänomenal. Der Zuschauer erkennt nicht, wer gera-de führt und wer folgt. Wenn das gelingt, eignet sich die Übung zu einer freiwilli-gen Vorführung. Dabei achte ich wie bei allen späteren darauf, dass die Präsenta-tion nicht von mehreren Raumseiten aus beobachtet wird. Das würde die Vorfüh-renden verunsichern. Das Publikum sitzt also immer gemeinsam auf einer, am bes-ten auf einer schmalen Raumseite. Die Sicherheit, von einer klar erkennbaren, nicht zu breiten Seite aus beobachtet zu werden, mildert die Unsicherheit durch die vie-len Zuschauer. In dem weiter oben beschriebenen Fall habe ich selber nach dem Jungen gesehen. Er saß in dem neben der Turnhalle befindlichen Klassenraum auf seinem angestammten Platz. Dieser erschien ihm offenbar als sicherer Ort. Ich setzte mich im Klassenraum links neben ihn und übernahm seine Körperspannung und Haltung. Er empfand es offenbar so, dass er in seiner Befindlichkeit wahrgenom-men wurde. In der beschriebenen Situation reichte das als Signal. Damit war das Problem jedenfalls im Moment entschärft, wenn auch noch nicht gelöst. Nach weni-ger als einer Minute, schaute er mich an, stand auf, ging in die Turnhalle zurück und arbeitete mit seiner Gruppe weiter an der Entwicklung eines Tanzes.Manchmal werden in der anschließenden Reflexion im Seminar Nähe und Di-stanz thematisiert. Wichtig ist, dass Studierende ihre eigenen Grenzen kennen und sie den Kindern deutlich machen. Andererseits zeigen auch die Kinder selber ihre Grenzen. Das kann für Studierende eine wichtige Erfahrung sein. Am Ende einer ersten Unterrichtsstunde in einer vierten Klasse war eine Gruppe Studierender überrascht, wie deutlich die Kinder Vorschläge Studierender zur Gestaltung der Tänze zurückgewiesen hatten und wie hoch Qualität und Ausdruckskraft der von den Kindern selbständig entwickelten Tänze waren. Es passiert bei der Gestaltung von Tänzen durchaus, dass Studierende und Kinder sich am Boden bewegen. Be-ginnen die Kinder mit Bewegungen am Boden, ist das ein Hinweis auf unklare Grenzen, die Studierende verdeutlichen müssen. Geschieht es nicht zu Beginn einer Zusammenarbeit, sondern im Verlaufe der Tanzprojekte, ist es nach meiner Erfah-rung ein Zeichen für beginnendes Vertrauen und kann dies tänzerisch zum Aus-druck bringen. Werden Horizontale, Vertikale und Sagittale gleichberechtigt ver-wendet, so ist die Kooperation in der Gruppe und die Befindlichkeit aller beteiligten Personen ausgeglichen, gerecht und wird als angenehm und vertrauensvoll emp-funden und in den abschließenden Klausuren so beschrieben. Wieder sind räum-liche Aspekte – hier die Raumebenen in der Interaktion – bedeutsam. In der Bewe-gungsanalyse ist die Horizontale die Ebene der Kommunikation und des Vertrau-ens, die Vertikale die des Selbstvertrauens und des Ich-Bewusstseins, die Sagittale