Klimawandel im Klassenraum 343 die der Initiative und des zielgerichteten, planvollen Handelns. Judith Kestenberg, eine 1910 in Krakau geborene Ärztin und Kinderpsychoanalytikerin, entwickelte in den 1960er Jahren in New York mit dem » Kestenberg Movement Profile « ein um-fangreiches, von ihrer Tochter Janet Kestenberg Amighi und anderen Entwicklungs-psychologen weiter entwickeltes Bewegungsbeobachtungs- und Analyseinstrument.11 Das » Kestenberg Movement Profile « ist einerseits hoch komplex, andererseits anschaulich und praxisrelevant, bei weitem aber zu umfangreich, um an dieser Stel-le auch nur annähernd vollständig darstellbar zu sein. Die Verbindungen zwischen Bewegung und Affekt beruhen bei Kestenberg auf klaren Prinzipien. Zugleich sind die Kombinationsmöglichkeiten menschlicher Bewegungen in den Dimensionen Raum, Zeit, Kraft und Bewegungsfluss unendlich groß. Alle Bewegungen des menschlichen Körpers finden auf drei Raumebenen statt, die beständig aufeinander bezogen sind: der Tischebene (Horizontale), der Türebene (Vertikale) und der Rad-ebene (Sagittale). Je mehr Raumebenen eine Person in der Bewegung miteinander verbindet, desto größer ist ihr Handlungsspielraum und desto deutlicher sind eige-ne Gefühle und Empfindungen beteiligt. In Alltagsbewegungen, besonders in schwierigen und emotional angespannten Situationen, vermeiden wir die Verbin-dung der Raumebenen, wenn wir uns der Gefühle nicht bewusst sind oder wenn sie unerwünscht oder für uns von Nachteil sind. Die Horizontale gilt als Hinweis für die aktuelle Beziehungsbereitschaft zu anderen Personen. Eine auf die Körpermitte gerichtete langsame und großräumige Bewegung der Arme in der Horizontalen kann eine Gruppe von Personen einladen, näher zu kommen, eine entsprechend kleine und rasche Bewegung auf der gleichen Raumebene eine Gruppe von einer anderen ausschließen. In der Vertikalen präsentieren wir uns vor anderen, was auch zur Konfrontation führen kann. Die Vertikale repräsentiert das Ich und seine be-wussten Ziele. Kinder hüpfen oder wippen, in der Türebene und signalisieren da-mit ihren Wunsch nach Beachtung und Aufmerksamkeit.In der Sagittalen antizipieren wir die Zukunft, indem wir uns entschlossen und zielgerichtet vorwärts bewegen. Wir nehmen dabei persönliche Ziele » in Angriff « . Kinder, denen es an Initiative fehlt, vermeiden beim Tanzen zielgerichtete Bewe-gungen in den Raum hinein. Und umgekehrt distanzieren sie sich von einer Situa-tion oder einer Beziehung, indem sie sich langsam und allmählich rückwärts bewe-gen. Wer mit einem in die Weite gerichteten Blick entschlossen vorwärts geht, enga-giert sich für seine Ideale, für andere Personen oder für die Beziehung zu anderen. Rasches Rückwärtsgehen oder -laufen, das immer die Gefahr des Stürzens birgt, deutet auf Konflikte. Mit Gefahren im geschützten Raum umzugehen, ist eine wich-tige Entwicklungsaufgabe, nicht nur für Kinder im Grundschulalter. Die Beobach-11 Die nun folgenden Ausführungen basieren weitgehend auf der Publikation Janet Kestenberg Amighi, Susan Loman, Penny Lewis u. a.: The Meaning of Movement. Developmental and Clinical Perspec-tives of the Kestenberg Movement Profile, Amsterdam 1999; dort besonders auf dem Kapitel: An Overview of the Profile, S. 11f. Die ersten Begegnungen mit dem » Kestenberg Movement Profile « verdanke ich während meiner Assistenzzeit am Institut für Musik- und Tanzpädagogik an der Deut -schen Sporthochschule Köln meinem Habilitationsvater Prof. Dr. Dr. Karl Hörmann, dem an dieser Stelle gedankt sei.