346 Bernhard Müßgens fristige Ziele zu verfolgen, die Befähigung zur Selbstmotivierung, zur Affektregula-tion und zur Selbstdisziplin. Die Zusammenhänge zu den Variablen der Körperbe-wegung werden in statistischen Varianzanalysen im Einzelnen ermittelt. Wir notie-ren Haltung und charakteristische Ausrichtung des Körpers in den drei Raum-ebenen sowie besondere Bewegungsmerkmale und die Häufigkeit des Auftretens und den Grad der Intensität individueller Bewegungsqualitäten in einem neun Punkte umfassenden Diagramm. Dazu gehört die Veränderung der Körperspan-nung (der sogenannte Körperspannungsfluss). Des Weiteren notieren ausgewählte und geschulte Beobachter unabhängig voneinander den individuellen Krafteinsatz sowie Rhythmen des Muskelspannungsflusses während der Bewegung für jedes einzelne Kind.Körperspannungsänderungen gehen auf angeborene und früh erworbene Span-nungs- und Entspannungsrhythmen zurück. Beim Kleinkind sind das Saugen, Bei-ßen, Drehen, plötzliches Hervorschießen, Stampfen, Wiegen, sich Treibenlassen und Taumeln.13 Der Muskelspannungsfluss korrespondiert mit grundlegenden biologi-schen Funktionen. Alle genannten Bewegungsrhythmen resultieren aus elementa-ren Bedürfnissen. Sie geben Hinweise auf die Entwicklung der persönlichen Bedürf-niswahrnehmung und der Selbstkontrolle. Die Beobachtung der Intensität sowie der Plötzlichkeit oder Allmählichkeit von Spannungsflussänderungen geben Aufschluss über emotionale Reaktionen, die charakteristisch für ein Kind sind, und damit über das individuelle Temperament sowie über die aktuelle Affektlage in der beobachte-ten Situation. Der Spannungsfluss kennzeichnet im Besonderen das Verhältnis der Bedürfnisse zu den mit ihnen verbundenen Affekten. Ein Übermaß an Kontrolle be-einträchtigt die spontanen Funktionen und die Selbstwahrnehmung, zu wenig Kon-trolle macht die Handlung ineffektiv und ziellos. Ein ausgewogenes Maß ist hier wie in allen operationalisierten Variablen wünschenswert. Ständige muskuläre An-spannung spricht für ein Übermaß an Vorsicht und für hohe Angstbereitschaft, überwiegend freier Fluss für das Gefühl von Sicherheit und Gelassenheit und im Extrem für geringe Aufmerksamkeit und Sorglosigkeit. Das Verhältnis von gebun-denem und freiem Fluss ist das Maß, in dem ein Kind seine Handlungen planvoll, kontrolliert und zugleich entschlossen ausführt. Ein neutraler Spannungsfluss, bei dem weder Spannung noch Entspannung erkennbar sind, spricht für Erschöpfung und Ermüdung oder für Überforderung bei zu einseitiger Belastung. Die neutrale muskuläre Spannung lässt die Affekte wie erstorben erscheinen. Ständige muskulä-re Anspannung in der Bewegung bindet die Emotionen. Vollkommen frei fließende Bewegung löst aufgestaute Affekte, birgt aber die Gefahr überschießender Reaktion und unkontrollierter Emotion.Des Weiteren werden die Bewegungsantriebe und ihre Entwicklungsstufen auf-gezeichnet und personenbezogen ausgewertet. Reife und effektive Bewegungsan-triebe setzen Raum, Zeit und Kraft in ein auf das jeweils klar erkennbare räumliche Be-wegungsziel gerichtetes Verhältnis zueinander. Die Reaktion auf die räumliche Um-13 Vgl. Kestenberg Amighi u. a.: The Meaning of Movement, S. 14 (s. Anm. 11).