Pink Floyd: » High Hopes « Gedanken zum Abschied in einer analytischen Annäherung Pink Floyd: » High Hopes « Jürgen Oberschmidt Unser Gedächtnis ist ein Vehikel, das unser inneres Leben in Fluß und Bewe-gung hält, und wir selbst sind das Produkt des beständigen Zusammenflie-ßens unserer Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Wir werden dazu, was wir sind, nicht nur im Kampfe mit der Zeit, sondern auch durch die Zeit. Wir sind nicht bloß die Summe der einzelnen Momente unseres Lebens, sondern vielmehr das Ergebnis des sich fortwährend wandelnden Sinnes, den es durch jeden neuen Moment gewinnt. Denn ein solcher Moment verlängert nicht nur unser Dasein, sondern schafft einen neuen Gesichtspunkt, von dem aus oft das ganze Bild unseres Lebens verändert erscheint. Jeder Moment ist wie eine Pha-se in der Entwicklung einer Melodie; in jeder Phase sind sämtliche zuvor er-klungenen Töne gegenwärtig, jeder neue Ton modifiziert aber die Bedeutung aller übrigen Töne im Zusammenhang mit der Melodie.1 Auch wenn die Zeit beständig und rastlos fließt, kommt und vergeht, eine alltäg-liche Grundkonstante der menschlichen Existenz darstellt, wird sie doch in der her-ausgehobenen Spannung des Abschiednehmens besonders erfahrbar. Es sind jene Umbrüche, in denen man sich vergegenwärtigt, dass Zeit immer vergeht. Erinne-rungen an Vergangenes werden wach, an jene Momente, in denen man die Gele-genheit wahrnehmen durfte, Zeit zu gestalten. Erinnerungen an Unumkehrbares, an Rastlosigkeit und Augenblicke des Anhaltens, des Zurückblickens und Voraus-schauens. – In diesen Momenten des Innehaltens konstituiert sich Gegenwart durch die Präsenz von Vergangenem und einem gewagten Ausblick auf Zukünftiges. Doch lösen wir uns nun von dieser Reflexion menschlicher Grunderfahrungen und wenden uns musikalischen Phänomenen zu. Musik ist – wie auch das Leben – » gestaltete Zeit « , » Zeitgestalt « ,2 gefüllte und erfüllte Zeit. Bereits Augustinus hat sich am Beispiel des Singen eines Liedes die Frage gestellt, wie hier Vergangenes mit Gegenwärtigem verbunden wird und Erwartungen an die Zukunft in die Ge-genwart projiziert werden.3 1 Arnold Hauser: Der Begriff der Zeit in der neueren Kunst und Wissenschaft, in: Merkur 9 (1955), S. 801–815, hier S. 809f.2 Carl Dahlhaus: Musikästhetik, Köln 1976, S. 113. 3 Ebd., S. 111.