Pink Floyd: » High Hopes « 357 sich bei Messiaen die umschließenden Akkordtrauben aus einer glockeninspirierten Kompositionsmethode. Der Beginn erschließt sich noch traditionell aus dem Ton-material seines 3. Modus.23 Den fünften Takt jedoch führt Messiaen als Beispiel für » effets de résonance « an, die unmittelbar dem Klang der Glocken abgelauscht sind: » Bei einer Glocke gibt es eine Hauptschwingung, das ist der Ton, den man hört, aber außerdem gibt es noch eine Quint-Resonanz, die man manchmal sogar stärker als den Grundton hört und die zusammen mit dem Grundton die Unteroktave er-gibt, das ›Houm‹. Und außerdem gibt es unzählige Obertöne, die hinzukommen. Wenn ich in meiner Musik einen Akkord habe, dann habe ich diese Obertöne und außerdem eine Art ›Untertöne‹« .24 So treten zu seinen vielstimmigen Klängen oft die Komplementärtöne hinzu. In Anlehnung an Komplementärfarben – für den Synästhetiker Messiaen nicht nur eine begriffliche Analogiebildung – ergänzen Ober- und / oder Untertöne einen Akkord so zu einem zwölftönigen Komplex. In dem Ton der Glocke, die » vielleicht das Schlaginstrument ist, das ich [Messiaen] be-vorzuge « ,25 sieht Messiaen diese Klangvorstellung am ehesten verwirklicht. Die Glocken des Schreckens und der Angst klingen nicht ausschließlich in der Ravel nachempfundenen Mittelachse, sie konstituieren sich auch auf einer weiteren Ebe-ne, nämlich in dem umgebenden Akkordmaterial. Die Akkordtrauben in den Ober-stimmen des fünften Taktes bilden so eine obere Resonanz zum f-Akkord. Die pia-no-Akkorde der linken Hand mit dem Material des 2. Modus, die pianopianissimo-Akkorde der rechten Hand im 6. Modus mit begrenzter Transpositionsmöglich-keit.26 Pink Floyd: » High Hopes « Oft sitze ich herum, um zu wissen (?), ob meine Musik doch nicht besser im Bild, in der Fläche denkbar ist als im Tonpunktturm der Musik. Der Ton be-sitzt gar keine ernstlich ausgedehnte Basis (gar keine!), sondern gibt Zeit vor, die er nicht hat.27 Nach diesem Ausblick in die komplexe Welt des Olivier Messiaen fällt der Blick nun zurück auf den Ausgangspunkt. Was als Betrachtung über musikalische Zeit begann, führte zu eine Zeitreise, einen Rückblick auf die Frühgeschichte der Kla-viermusik, die diffizil ausgearbeiteten atmosphärischen Klänge eines Maurice Ra-vels und auf die ausgefeilte Technik eines Olivier Messiaens. Die Luftbildaufnahme 23 Vgl. ebd., S. 58. 24 Zit. nach Almut Rößler: Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Mit Original-Texten des Kom-ponisten, Duisburg 1993, S. 85.25 Zit. nach Michaely: Musik Olivier Messiaens, S. 350 (s. Anm. 9).26 Vgl. Messiaen: Technik meiner musikalischen Sprache, S. 49 (s. Anm. 21).27 Wolfgang Rihm: Offene Enden. Denkbewegungen um und durch Musik, hrsg. von Ulrich Mosch, München 2002, S. 106.