358 Jürgen Oberschmidt der Partituren zeigt Entsprechungen in der kompositorischen Anlage: Hier wie dort ist es eine Glockenstimme, die ein entsprechendes Eigenleben führt, ein einsamer Glockenton, der in ein rahmendes Klanggeschehen eingebettet wird. Doch was bleibt nach diesem musikalischen Vergeistigungsprogramm? Vergrößert diese Un-ternehmung nicht den Gegensatz zwischen Kult und Kultur? Zwischen einer kom-plexen, artifiziellen Gestaltung bei Ravel und Messiaen in der Hohen Kunst und ei-nem populärem Niederschlag in den Tiefen inzwischen gealterter Jugendkultur?Um diesem Einwand zu begegnen, soll nun eine genauere Betrachtung von » High Hopes « unter dem besonderen Aspekt der musikalischen Zeit erfolgen. Überlegungen zur Zeitgestaltung berühren zunächst die Frage der Aufeinander-folge, nach dem Stiften von Zusammenhängen einzelner Töne, die nacheinander er-folgen. In den Kompositionen von Ravel und Messiaen sind nun zwei getrennte Zeitebenen mit divergierenden Ereigniskomplexen wahrzunehmen. Hier haben sich die Glockenstimmen – ganz gemäß ihrer inhärenten natürlich und frei schwingen-den Metrik – in ihrem eigenen Zeitfluss konstituiert. So entstehen – erinnert sei an die angedeuteten Gedanken Heideggers – unbezügliche Zeitflächen, keine gerichte-te oder auf ein Ende hindeutende Zeitlichkeit. Ähnliches oder Abweichendes nun auch für » High Hopes « zu behaupten hieße je-doch, das Ergebnis der nun folgenden Analyse vorweg zu nehmen. Das Stück be-ginnt zunächst mit Naturklängen: Insekten, das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Absteigende Glockentonleitern (change ringing) bilden zunächst eine Brücke zum vorherigen Stück » Lost for words « . Es entsteht ein metrisch offenes Klanggefüge, auch die Glockentonleitern fügen sich hier nicht in ein stimmiges metrisches Raster. Aus diesen Naturgeräuschen kristallisiert sich der Klang einer Glocke heraus. Der Hörer, versucht in dem Musikstück möglichst schnell eine metrische Deutung zu finden, nimmt diesen hier dankbar als Grundschlag an, zumal sich dieses Pulsieren in einem unmittelbar fasslichen Metronombereich befindet. Während sich die frei schwebende Glockenstimme bei Ravel und Messiaen einer metrischen Ordnung be-wusst entzieht, scheint hier die Glocke noch Zeit und Stunde zu strukturieren.