Mozart – Hummel – Chopin. Zur Tradition der Sonatenform Mozart – Hummel – Chopin Zur Tradition der Sonatenform Irena Poniatowska Chopin kultivierte zwei verschiedene Traditionen der Hauptsatzform im Sonaten-zyklus. In der Pariser Zeit, besonders in den Sonaten b-Moll und h-Moll, sind die Flächen der zwei Themen stark differenziert. Das Hauptthema der Sonate h-Moll ist kräftig und markant. Doch bleibt es in der Exposition einigermaßen im Schatten der lyrischen Fläche des zweiten Themas und der subtilen Melodik des Epilogs. In der Sonate b-Moll ist der Unterschied im Charakter der Themen auch ausdrücklich ent-worfen. Das Hauptthema ist aufgeregt. Die unterbrochenen Motive auf dem Hinter-grund der rhythmischen Begleitung führen die Atmosphäre eines tiefen Dramas ein. Das langsame und sanfte zweite Thema wirkt beruhigend, obwohl es mit dem ers-ten intervallisch verwandt ist. Und eine Einleitung Grave geht dem ersten Thema noch voraus. Mit ihrer rätselhaften dissonanten Ausformung kündigt sie eine har-monische Spannung, eine hochgespannte Expression und Erwartung an. Chopin greift auch in dieser Hauptsatzform auf die Durchführungstechnik Beethovens zu-rück. Der Dualismus der Themen ist beibehalten, sie sind offen und mehrfach ver-wandelt. Ganz anders ist es in den Konzerten aus der Warschauer Zeit. Chopin be-zaubert mit dem » brillanten Stil « , übernimmt die ganze Tradition dieses Stils, die nicht nur in den virtuosen und ornamentalen Mitteln sondern auch in der Form zu erkennen ist. Und an diese Tradition werde ich anknüpfen.1 Vielfach wurde darüber geschrieben, dass Chopin das künstlerische Werk Mo-zarts besonders geschätzt habe. Bereits in der ersten Monographie über Chopin, die Franz List verfasst hatte, war davon die Rede. Doch wir wissen nicht einmal, welche Klavierstücke Mozarts Chopin spielte und welche Werke er seine Schüler einstudie-ren ließ. Es ist jedoch verbrieft, dass Chopin während seines letzten Konzerts am 16. Februar 1848 in Paris zusammen mit Delphin Alard und Auguste Franchomme Mo-zarts Trio E-Dur aufführte. Maurycy Karasowski vermutete, Chopin habe während der Zeit, als er von Żywny und Elsner unterrichtet wurde, Mozart-Sonaten gespielt. Karol Mikuli hingegen gab an, Chopin habe die Klavierstücke für die Schüler nach Schwierigkeitsstufen eingeordnet – Clementi, Mozart, Bach, Händel, Scarlatti, Dus-sek, Field, Hummel, Ries, Beethoven und weiter Weber, Moscheles, Mendelssohn, 1 Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete und erweiterte Fassung meines polnischen Artikels » Od Mozarta do Chopina – o ekspozycji formy sonatowej myśli kilka « [Vom Mozart bis Chopin – einige Gedanken über die Exposition der Sonatenform], in: Res Facta Nova 10(19) (2008), S. 175–187.