Mozart – Hummel – Chopin. Zur Tradition der Sonatenform 377 Beispiel 5: F. Chopin, Konzert f-Moll, 1. Satz: Preludio und Motivo principale; Secondo motivo; Passo caratteristico Der Aufbau der Sonatenhauptsatzform in den Konzerten Hummels und Chopins ist natürlich nichts Neues. Es geht mir aber darum, aufzuzeigen, dass die von Galeazzi angeführten Grundsätze nicht nur von den Musikwerken Mozarts und seiner Zeit-genossen abgeleitet wurden, sondern sich auch später bei den Vertretern des » bril-lanten Stils « bewährt haben, zu denen der junge Chopin zählte. Galeazzi war der Auffassung, dass folgende Elemente für die Sonatenhauptsatzform obligatorisch sind: Motivo principale, Uscita di tono und Periodo di cadenza. Die anderen Ele-mente konnten auftreten, mussten es aber nicht. Das Hauptthema, die Änderung der tonalen Ebene und der Abschluss stellten somit die Anforderungen an die Grammatik der Form dar. Sowohl Hummel als auch Chopin setzten zudem das Se-condo motivo und den Passo caratteristico ein, die Periodo di cadenza wurde bei ih-nen zum einem faktisch wichtigen formalen Element – der Zurschaustellung der virtuosen Technik zum Abschluss der Exposition. Es ist offensichtlich, dass bei den Vertretern des » brillanten Stils « die Form im Vergleich zu Mozarts Zeiten ausge-baut wurde – sowohl hinsichtlich der Ausmaße als auch der Faktur. Die Themen waren nun voller Ornamentik in Gestalt von unregelmäßigen rhythmischen Grup-pen, die einen außerordentlich freien Melodiefluss in der rechten Hand vor dem Hintergrund eines stabilen Grundrhythmus in der linken Hand aufwiesen, wo-durch eine Art Rubato entstand. Jean-Jacques Eigeldinger schreibt in » Chopin vu par ses élèves « , dass Mozart, besonders in den langsamen Sätzen seiner Sonaten, Konzerte, Fantasien, im Adagio KV 540 und vielen anderen, diese Unabhängigkeit der Hände einsetzte, die ihn in einem so hohen Maße an Chopin 27 annähert. Bei Chopin treten diese Phänomene in allen Sätzen des Sonatenzyklus auf. Die Faktur wurde dank neuer Spieltechniken und der » Einnahme « des gesamten Tonumfangs des Instruments durch Figurationen bedeutsam entwickelt. Die Intensität des Ver-laufs war bei Mozart und bei Hummel und dem jugendlichen Chopin zu Zeiten sei-ner frühen Schaffensperiode anders. Doch manche Prinzipien blieben gewahrt und in der Konstruktion sind manche Analogien zu erkennen.27 Eigeldinger: » Chopin vu par ses élèves « , S. 178 (s. Anm. 2). In der polnischen Übersetzung dieses Bu-ches, S. 159, Fussnote 112 (s. Anm. 2) sind für diesen Sachverhalt die Sonaten und Konzerte nicht mit einbezogen.