410 Friederike Ramm Mozart hat im Gegensatz zu seinem Kollegen Haydn (und manchem anderen) zeitlebens mehr in Einzelwerken als in Zyklen, geschweige denn in sorgfältig » durchkomponierten « Zyklen gedacht. Dagegen spielten bei ihm komplemen-täre Werkpaare, wenn auch in viel geringerem Umfang als bei Beethoven, eine Rolle, und zwar offenbar besonders dann, wenn es um eine neue Gattung (oder auch nur Besetzung) oder um die tiefgreifende Umwandlung einer Gat-tung ging […].86 Auch wenn Finscher in diesem Zusammenhang nur das erste der beiden Quintett-paare erwähnt,87 so dürfte doch die Voraussetzung einer Neuorientierung aufgrund der experimentellen Züge beider Werke auch für das zweite Paar zutreffen. Als ty-pischen Schaffensimpuls der Wiener Jahre (sofern kein Kompositionsauftrag vorlag) nennt Finscher die » selbstbestimmte kompositorische Auseinandersetzung mit Mo-dellen und Mustern « .88 Auch Schwindt hält im Zusammenhang der Streichquintette » eine musikimmanente Problemstellung des ›spekulierenden‹ Komponisten « für die Triebfeder, indem Mozart sich vom Streichquartett ausgehend sowohl die Gat-tung Streichtrio wie das Streichquintett erarbeitete.89 Dass bei einer solchen » speku-lierenden « Intention zwei Alternativen in der kompositorischen Realisierung mehr an Erkenntnisgewinn bringen als nur eine, liegt auf der Hand.90 In die Richtung ei-ner Konzeption von Werkpaaren fürs eigene kompositorische Gleichgewicht geht auch Gülkes Annahme, dass Mozart das » konträre Zwillingswerk « (gemeint ist hier das Klavierkonzert KV 467) » [w]enn schon nicht fürs Auditorium, das derlei Di-mensionen schwerlich sofort ermessen konnte, dann vielleicht für [sich] selbst « 91 ge-schaffen habe.Doch zurück zur Kernfrage: Hat Mozart in Werkpaaren gedacht? Hat er jeweils zwei Quintette bewusst gegeneinander komponiert? Gab es, zumindest für das ers-te Paar, » two mental processes that partly overlapped « ,92 wie King annahm? 86 Finscher: Mozart und die Idee des Instrumental-Zyklus, S. 69 (s. Anm. 59).87 Als weitere Beispiele werden aufgeführt: die Duos für Violine und Viola KV 423/424, die Quintett-Fragmente KV 515c/515a und die Symphonien KV 550/551 sowie unter Vorbehalt die Klavierkonzer-te KV 450/451 und KV 466/467 sowie die Klaviertrios KV 496/498. 88 Finscher: Bemerkungen zu den späten Streichquintetten, S. 153 (s. Anm. 27). Im Folgenden bezieht sich Finscher auf die Fortführung formaler Experimente, die in den Preußischen Quartetten ihren Anfang genommen haben (S. 156).89 Vgl. Schwindt, in: Mozart Handbuch, S. 464 (s. Anm. 29).90 Vgl. auch Gülke: » Triumph der neuen Tonkunst « , S. 15 (s. Anm. 1): » Offenbar denkt Mozart bei den instrumentalen Formen stets in größeren Zusammenhängen; oft lassen sich über das Einzelwerk hin-ausgreifende Momente erkennen, kompositorische Aufgabenstellung, Situationen bzw. Intentionen erscheinen selten so geartet, daß sie in einem einzelnen Werk abgegolten sind. Mozart bringt das mit manchem Auftrag ebenso überein wie mit Gesichtspunkten der Arbeitsökonomie, dem Bestreben, frisch gewonnene Erfahrungen sofort zu nutzen und die auf einem bestimmten Wege sicher und fün-dig gewordene Phantasie weiterzutreiben.« 91 Gülke, in: Mozart Handbuch, S. 355 (s. Anm. 37).92 King: Mozart’s String Quintets, S. 126f. (s. Anm. 6).