Mozarts Streichquintette KV 593 und KV 614: Ein kontrastierendes Werkpaar?411 Allerdings geben die Daten in Mozarts » Verzeichnüß « keine Auskunft über vorangegangene Planungs- und Arbeitszeiten und erst recht keinen Anhalt für die Vermutung, er habe an dem einen Werk erst zu arbeiten begonnen, nach-dem das vorangehende beendet war. Alles hingegen, angefangen bei den le-gendären blitzartigen Niederschriften, spricht für parallel laufende Beschäfti -gungen auf verschiedenen Stufen der Konkretisierung, bei denen Mozart meist erst spät zur schriftlichen Aufzeichnung überging. Genau dies, » eine imagi -näre Gleichzeitigkeit « mag in besonderer Weise zugetroffen haben für eine Si -tuation, welche weiter vorauszuschauen erlaubte. Wenn schon nicht von Opus, darf man doch von Problemgemeinschaft reden, da gleichartige Werke schwerlich dicht aufeinander folgen, ohne miteinander zu tun zu haben […]. 93 Was Gülke hier für die Klavierkonzerte annimmt, mag auch für andere Werkpaare zutreffen. Dagegen betont Konrad den Wert vom schriftlich Fixierten, das » kompo-sitorische Aktion als Reaktion auf Komponiertes « 94 ermöglicht. Genau wie dies für verworfene Fragmente gilt – mit der Erarbeitung einer Werkidee, die möglicherwei-se als Modell, nicht aber mit dem notierten Notentext in einem vollendeten Werk aufgeht –, wäre selbstverständlich auch ein schon fertiges Werk eine denkbare kom-positorische Vorlage für die Konzeption eines Gegenstücks. Es liegt nahe, dieses zu-mindest bei dem zweiten Quintettpaar anzunehmen. Inwieweit es jeweils noch wei-tere Vorarbeiten in Form von Skizzen gegeben hat,95 die möglicherweise zeitlich weiter zurückreichen und insofern nicht nur eine virtuelle, sondern auch eine reale Gleichzeitigkeit im Schaffensvorgang denkbar werden lassen, weiß man nicht, da sich diesbezüglich (abgesehen von einigen Vorarbeiten zum Finale KV 516)96 nichts erhalten hat. Auch wenn, wie in der Literatur mehrfach dargestellt, für Mozart das Komponieren in der weniger ›vorbelasteten‹ Gattung Streichquintett vielleicht kei-ne ganz so » lange und mühsame Arbeit « bedeutete wie das Schreiben von Streich-quartetten, so kann doch angenommen werden, dass die Ausarbeitung ihn für eine gewisse Zeit in Anspruch genommen hat. Denn das, was Konrad für die Streicher-kammermusik insgesamt und wohl auch im Hinblick auf die » lunga, e laboriosa fa-tica « der Haydn-Quartette insbesondere formuliert, dürfte sicher ebenso für den komplexen und komprimierten Satz der letzten beiden Quintette gelten:Das [= die im Verhältnis zu anderen, größer besetzten Gattungen längere Kompositionszeit] lag […] wohl [auch] an in seiner Phantasie angelegten mu-sikalischen Denkweisen, die er in der Streicherkammermusik nicht wie in an-93 Gülke, in: Mozart Handbuch, S. 353 (s. Anm. 37). 94 Konrad: Fragmente aus der Gegenwart, S. 191 (s. Anm. 74).95 » Zu Mozarts Schaffensvorgang gehört, in Form und Intensität abhängig von der kompositorischen Aufgabenstellung, in der Regel das Niederschreiben von Skizzen und Entwürfen vor dem Anfertigen der gültigen Reinschrift « (Konrad: Mozarts Schaffensweise, S. 53f.; s. Anm. 70). Im vorliegenden Fall ist dies für das Finale KV 516 belegt und darf für das Menuett KV 515 angenommen werden, siehe ebd., S. 349.96 Fragment KV 516a sowie eine, vielleicht auch zwei Skizzen (vgl. Schmid: Einleitung, S. XVIII;s. Anm. 4).