Mozarts Streichquintette KV 593 und KV 614: Ein kontrastierendes Werkpaar?417 Gerade weil eine polythematische Anlage an sich für ein Finale nicht ungewöhn-lich ist, fällt umso mehr auf, dass Mozarts letzte Quintette von ganz anderer Art sind. Hier herrscht eine Konzentration in der Motivik, die bis zu einer zum Teil aus-geprägten Neigung zur Monothematik reicht. Dabei lassen sich verschiedene Arten und Grade der Vereinheitlichung unterscheiden:–Gleichheit oder direkte Ableitung von ›erstem‹ und ›zweitem‹ Thema (bzw. von Refrain und Couplet im Rondo)–thematische Einheit eines ganzen Satzes oder wenigstens der Exposition (in-klusive Überleitung und Schlussgruppe)–satzübergreifende Themenverwandtschaften Die erste Art, die Ableitung des zweiten aus dem ersten Thema, finden wir in KV 593/I und KV 614/IV (kanonische Verarbeitung des Hauptthemas auf der fünften Stufe) sowie in KV 614/II (Verzierung des Refrainthemas mit einer Oberstimme im ersten Couplet).Ein Beispiel par excellence für thematische Vereinheitlichung der gesamten Exposition bietet der Kopfsatz von KV 614. Zwar findet sich hier ein ›neues‹ Thema auf der Do-minante, doch ist dieses dem Hauptthema eng verwandt: Die Tonrepetitionen zu Beginn sind beiden Themen gemein und auch die Terz des Seitenthemas ist latent schon im Triller des Hauptthemas enthalten.118 Die Verwandtschaft der beiden The-men wird noch deutlicher, wenn Material des ersten Themas – um einen halben Takt verschoben – im Anschluss an das Seitenthema wieder aufgegriffen wird (T. 54). Da auch die Überleitung, in der das Kopfmotiv imitatorisch behandelt wird, und die zur Durchführung überleitenden Takte aus demselben Material bestehen, scheint es nur logisch, wenn die erste Violine in der Durchführung aus dieser Einheitlichkeit ausbricht und ein temperamentvolles neues Thema bringt, das mit seinen Synkopen und weiten Sprüngen in völligem Kontrast zum Themenmaterial der Exposition steht.119 Der Überraschungseffekt wird harmonisch durch die ›trugschlüssige‹ Wendung G7–As beim Einsatz des neuen Themas unterstützt.120 Dieses bildet den Kern der Durch-führung – nach der Einführung in As-Dur folgt eine Wiederholung in g-Moll –, wäh-rend dem Kopfmotiv und seinen Abspaltungen die Aufgabe der Hin-, Über- und Rück-leitung zukommt. Das ›zweite Thema‹ spielt in der Durchführung keine Rolle mehr.Auch in KV 593/IV lässt sich eine thematische Vereinheitlichung des ganzen Sat-zes feststellen (inkl. Überleitung, Schlussgruppe, ›neue Themen‹ in der Durchfüh-rung). Das einzige kontrastierende (zweite) Thema ›verschwindet‹ in der Reprise im Fugato.›Scheinthemen‹ hat zu zahlreichen Deutungen geführt. Vgl. Flothuis: Streichquintett g-Moll, S. 45–48 (s. Anm. 64) und Schwindt, in: Mozart Handbuch, S. 466 (s. Anm. 29).118 Vgl. Jeffrey L. Stokes: Motivic Unity in Mozart’s String Quintet, K. 614, in: Studies in Music from the University of Western Ontario 2 (1977), S. 22–30, hier S. 23.119 Vgl. Leonhard G. Ratner: Classic Music. Expression, Form, and Style, New York 1980, S. 245: » The dramatic, even explosive entry of this new theme adds a dimension of depth to the expressive range of the movement, sharpening the profile of the galant style by contrast.« 120 Siehe Notenbeispiel 8.