Mozarts Streichquintette KV 593 und KV 614: Ein kontrastierendes Werkpaar?425 Gänzlich unkonventionell zeigt sich KV 593 auch im Adagio mit seinem » düster-lei-denschaftliche[n] Seitengedanke[n]« 132 in d-Moll (T. 16). Zwar hat diese Stelle einen Vorläufer im langsamen Satz von KV 516, ebenfalls einem Adagio. Auch dort findet sich ein sangliches Thema auf der Molldominante (T. 18)133 und die Parallelen ge-hen noch weiter: Beide Themen sind als Dialog über pulsierenden Begleitstimmen angelegt und beide Themen werden aufwärts sequenzierend weitergeführt. Doch während sich dieser Formabschnitt in KV 516 im Nachhinein als Teil der Überlei-tung entpuppt und noch ein ›richtiges‹ Seitenthema auf der Durdominante nachge-reicht wird (T. 27),134 wird die Dominante in KV 593 erst ganz am Ende der Exposi-tion wirklich erreicht (T. 26). Denn nachdem die Fortspinnung des Themas in Quint-schrittsequenzen (T. 22ff.) um eine Quinte zu tief bei der Subdominante landete, bringt auch das Epilogthema noch keine Ruhe, sondern führt die Harmonien im Viertelrhythmus erst im abschließenden Takt 33 zur neuen Tonart D-Dur – die dann aber im Rahmen der Überleitung zur Durchführung auch sogleich wieder verlassen wird.Im Gegensatz zu dem zielgerichteten Modulieren in KV 614 findet sich in KV 593 des Öfteren ein scheinbar zielloses Abschweifen in entlegene Tonartenbereiche, aus denen dann meist mit Quintschrittsequenz zurückmoduliert wird, z. B. in der Durchführung des ersten Satzes: chromatische Überleitung von der Dominante der Grundtonart zur Themenwiederholung in F-Dur, dann Modulation mit Motiv-abspaltungen nach Cis-Dur (T. 106 bis 122) und in Quintschrittsequenzen zurück bis zur Subdominante G-Dur (T. 133). – Noch ausgeprägter ist der Durchführungs-teil im Schlusssatz: chromatische Verschiebung von A nach H (T. 102), nach span-nungsvoller Pause Rückung nach C mit einer Variante des Themas (T. 104), chroma-tische Überleitung (T. 112–115) zur Molltonika d, auf der das Thema erneut einsetzt. Dieses moduliert im Nachsatz, so dass in T. 124 mit der Dominante zu H eigentlich wieder der Ausgangspunkt zu Beginn des Abschnitts (T. 102) erreicht wäre. Diese Erwartung wird aber nicht eingelöst, stattdessen wird die Tonart erneut in wenigen Takten nach G-Dur verschoben (T. 127–132). Hier setzt das Fugato ein, das als ent-ferntesten Punkt Cis-Dur (T. 142) erreicht, von wo – endlich – in Quintschrittse-quenzen (und enggeführten Themeneinsätzen) zur Subdominante der Grundtonart moduliert wird, die in ein Dominantfeld mündet.In KV 614 werden dagegen entfernt liegende Tonarten fast völlig gemieden. Selbst in den Durchführungen werden oft nur die Haupttonarten und ihre Paralle-len verwandt. Zwar gibt es zum Durchführungsbeginn des Eingangssatzes eine Stelle, die ganz ähnlich anmutet wie die oben angesprochene im Finale des Schwes-132 Abert: Mozart, Bd. 2, S. 721 (s. Anm. 8). 133 Gülke nennt es das » sonatenwidrig ins g-Moll eingesperrte Seitenthema « (» Triumph der neuen Ton-kunst « , S. 108; s. Anm. 1).134 Keller weist auf die Modernität dieses Verfahrens hin: » The resultant telescoping of the first- and second-subject stages, however, looks far into the complex future of sonata form « (Hans Keller: The Chamber Music. B. The String Quintets, in: The Mozart Companion, hrsg. von H. C. Robbins Landon und Donald Mitchell, London 1956, S. 132–135, hier S. 133).