426 Friederike Ramm terwerks. Wie dort wird nach einer Generalpause die Tonart überraschend um einen Halbton nach oben gerückt, doch anders als dort handelt es sich um keine entfernte Tonart, sondern ›nur‹ um die Subdominante As-Dur (T. 90), die nach dem Expositionsende in B 7 lediglich aufgrund einiger zuvor eingeschobener G 7 -Überlei-tungstakte als ›Ereignis‹ herausgestellt wird. Notenbeispiel 8: KV 614, Allegro di molto, Beginn Durchführung Auch der Ces-Dur-Akkord in Takt 117 hat nur koloristische Funktion – innerhalb ei-ner chromatischen Fortschreitung (Viol. I/II), die zwar den erwähnten Stellen in KV 593 ganz ähnlich sieht, aber im unmittelbaren Kontext (T. 116–119: als Neapoli-taner innerhalb einer Kadenz) nur von B nach B führt … Die einzigen echten Aus-nahmen bilden die Durchführung im Finale, auf die an späterer Stelle noch einzuge-hen sein wird, und die nach Moll abgefärbten Modulationsabschnitte im Andante, die eine reiche Detailharmonik aufweisen. Denn ausgerechnet in dem scheinbar harmlosen Umfeld einer Romanze finden sich scharfe Dissonanzen, ja sogar » some of the sharpest dissonances in all of Mozart « .135 Die zunehmend dissonantere Schär-fung der kontrapunktisch angelegten Überleitungs-, Durchführungs- bzw. Rücklei-tungsteile führt schließlich zu jenen berühmten ›clusterartigen‹ Zusammenklängen (T. 79 bis 83), die Keller als » the most shattering harmonic as well as rhythmic re-sults of these cross-accenting imitations « beschreibt.136 Während Stokes an dieser Stelle die Überlagerung harmonischer Funktionen sieht, die als » all embracing idea « das ganze Werk durchzieht,137 interpretieren Christoph Schmidt und Naphtali Wagner die Dissonanzen – in einem Analyseexperiment zwischen Schönberg, Schenker und Adorno – als » Elemente der Moderne « :138 Diese durch kontrapunkti-sche Stimmführung entstehenden » Dissonanzknäuel « haben etwas an sich, » was von der Standard-Dissonanz des tonalen klassischen Zuschnitts abweicht « , und ge-135 Eisen, in: The Cambridge Mozart Encyclopedia, S. 77 (s. Anm. 31).136 Keller, in: The Mozart Companion, S. 134 (s. Anm. 134).137 Stokes zeigt insbesondere Überlagerungen von Tonika- und Dominantfunktionen im gesamten Quintett auf, von den Trillern im Kopfmotiv bis zur Finalcoda (I, T. 1ff. und T. 216ff.; II, T. 65ff. und 80ff.; IV, T. 307ff.): » the dramatic climax of each movement is created by superimposition of tonic and dominant functions « (Motivic Unity in Mozart’s String Quintet, K. 614, S. 22ff.; s. Anm. 118). 138 Naphtali Wagner und Christoph Schmidt: KV 614: Schock und Struktur in der Wiener Klassik, in: Musik & Ästhetik 10 (1999), S. 28–46, hier S. 45.