430 Friederike Ramm Dieses ungewöhnliche Ende hat verschiedenste Interpretationen hervorgerufen. Zum einen lässt es sich, wie oben angedeutet, als » Haydnsche Überraschung « 144 verstehen, zum andern aber scheint das abrupte Ende geradezu körperlich empfun-den worden zu sein, so bei Saint-Foix (» un fin si brusque qu'on en est quelque peu déconcerté « ) und besonders Massin (» tout s’arrête brutalement « ).145 Während Til-man Sieber mit der Wiederkehr des Larghettos die Geschlossenheit des Satzes be-wirkt sieht,146 weist Schwindt sehr richtig auf die Problematik einer solchen ›Ab-rundung‹ hin: Formalästhetisch rundet die zweifache Erinnerung an den Anfang den kom-pakten, lotrechten Satz ab, de facto lässt er Spieler und Hörer nach dem regel -recht abgewürgten Ende zutiefst verunsichert zurück. Einen solchen Einbruch des Irrationalen wird Haydn fünf Jahre später im ersten Satz der Sinfonie mit dem Paukenwirbel (Hob. I:103) mit ähnlichen Verfahren komponieren. Dort chiffriert es das Erhabene im Sinfonischen, bei Mozart lässt es den Anspruch des Erhabenen, den er mit der Gattung Streichquintett im Jahr 1790 erhob, erahnen.147 Auch Eric Rohmer, dem das D-Dur-Quintett » etwas Intellektuelleres, etwas Ab-strakteres ist – auch wenn dies nicht die eigentlich passenden Worte sind –, welches es im Gegenzug ›moderner‹ als die anderen erscheinen läßt « ,148 stellt das Larghetto in einen philosophischen Kontext. Dessen beginnende Phrase aus vier Noten be-greift er als Frage: Sie stellt die Musik, sie stellt die Welt in Frage. Sie vermittelt uns den Ein-druck, aus dem Nichts – aus der Stille – mit einer Kraft herauszutreten, die kein anderer Beginn eines Musikstückes besitzt. […] diese Frage besitzt einen Inhalt, aber dieser Inhalt ist die Frage selbst, der Akt des Fragens, das reine Fragen. […] Dieses Wesen [der Frage] erfassen wir hier in einer unmittelbaren Empfindung […] – einer Empfindung des hingerissenen Erstaunens, der Of-fenheit, […] einer Empfindung, die von der leichten Angst getönt ist, daß aus dieser Frage etwas entstehen oder auch nicht entstehen könnte.149 144 Finscher: Bemerkungen zu den späten Streichquintetten, S. 160 (s. Anm. 27).145 Saint-Foix: Mozart, Bd. 5, S. 124 (s. Anm. 13), und Massin: Mozart, S. 1123 (s. Anm. 12). 146 Tilman Sieber: Das klassische Streichquintett. Quellenkundliche und gattungsgeschichtliche Studien, Bern/München 1983, S. 61.147 Schwindt, in: Mozart Handbuch, S. 468 (s. Anm. 29).148 Eric Rohmer: Von Mozart zu Beethoven. Aus dem Französischen von Christian Rochow, Salzburg/ Wien 1997, S. 84 [franz.: De Mozart en Beethoven. Essai sur la notion de profondeur en musique, Arles 1996]. » Wenn man mich fragen würde, welches Werk des tiefsten aller Komponisten wohl für den heutigen Hörer das unmittelbar tiefste sei, dann würde ich das Streichquintett KV 593 D-Dur nen-nen, insbesondere seinen ersten Satz « (ebd., S. 83).149 Ebd., S. 87f. Vgl. auch Massin: Mozart, S. 1123 (s. Anm. 12): » un peu angoissé « .