Mozarts Streichquintette KV 593 und KV 614: Ein kontrastierendes Werkpaar?431 Mit der Wiederaufnahme des Larghettos am Ende sieht Rohmer die Frage bestätigt in der » ihr eigenen Bedeutsamkeit, ihres grundsätzlichen Ernstes gegenüber der Nichtigkeit jeder möglichen Antwort « .150 Diese » Offenheit « der ersten wie der letzten Takte im ersten Satz des D-Dur-Quintetts korrespondiert mit seiner Offenheit im weiteren Verlauf und zwar auf mehreren Ebenen: der Harmonik, des formalen Aufbaus, der Struktur der Themen. Das Schwesterwerk zeigt sich hier in fast jeder Hinsicht gegensätzlich.Bau und Charakter der Themen Die galante Regelmäßigkeit des Es-Dur-Quintetts findet ihre Entsprechung im aus-gesprochen tänzerischen Charakter der Themen. Symmetrische Gliederung, als Norm des Tanzes, lässt sich in fast allen Themen des Quintetts nachweisen: Kopf-satz, Andante, Trio und Finale beginnen mit einer achttaktigen Periode; das Sei-tenthema des Kopfsatzes ist als sechzehntaktige Periode angelegt. Einzige Ausnah-me bildet ausgerechnet das Menuett als eigentlicher Tanzsatz. Es beginnt nicht mit einer symmetrischen Periode, sondern mit einem Satz, der durch Wiederholung des Vordersatzes einen Ton tiefer auf zwölf Takte erweitert wurde. Doch sind anderer-seits ja gerade im Menuett gewisse Unregelmäßigkeiten in der Phrasenbildung, die die Norm der Tanzsymmetrie durchbrechen, schon wieder traditionell.Tanzartig an den Themen von KV 614 ist aber nicht nur ihre periodische Gliede-rung, sondern gerade auch ihre rhythmische Gestalt, die jeweils auf einen konkre-ten Tanzstil hindeutet. So lässt sich jedem Satz des Quintetts ein anderer Tanz zu-ordnen: Das » tanzhaft-›ländliche‹ Hauptthema « 151 des Kopfsatzes steht einer Gigue nahe; weiterhin finden wir eine langsame Form der Gavotte im Andante, die Muset-te im Trio und im Finale den dort gern verwendeten Kontretanz.152 Die gleiche Entsprechung von großem Formverlauf und Syntax zeigt sich auch in KV 593. Mit dem bereits gezeigten eher offenen Charakter des Werkes auf groß-formaler Ebene korrespondiert eine häufigere Verwendung des Satzes in der thema-tischen Anlage. Der in sich ruhenden Geschlossenheit der Periode wird die fortfüh-rende Öffnung des Satzes vorgezogen (Menuett, Trio, Finale); auf den offenen Cha-rakter des Hauptthemas im Kopfsatz wurde bereits hingewiesen: das eher satzartig gestaltete » Gebilde « 153 endet zwar auf der Tonika, doch ohne wirklich zu schließen, es drängt gleichsam über das Ende hinaus. Und anstelle von tanzhafter Symmetrie finden sich in diesem Quintett ungleiche Längen von Vorder- und Nachsatz (Trio: 8 + 6 und Finale: 6 + 4) und zahlreiche metrische Verschiebungen. Die symmetrische 150 Eric Rohmer: Von Mozart zu Beethoven, S. 92 (s. Anm. 148).151 Schmidt: » Vom Streichquintett zum Streichquartett « ?, S. 3 (s. Anm. 20).152 Vgl. Ratner: Classic Music, S. 245 (» hunt gigue « ) und S. 14f. (s. Anm. 119). – Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Mozart in den Monaten vor der Komposition des Es-Dur-Quintetts besonders viele Tänze geschrieben hat, vgl. Mozart: Eigenhändiges Werkverzeichnis, S. 53–55 bzw. im Faksimi-le f. 24v–26v. (s. Anm. 62).153 Abert: » Man vergleiche mit diesem Gebilde nur einmal die weitausladenden Themen der beiden frü-heren Quintette « (Mozart, Bd. 2, S. 720; s. Anm. 8).