Mozarts Streichquintette KV 593 und KV 614: Ein kontrastierendes Werkpaar?435 Die chromatisch absteigende Linie wird umgekehrt und gewinnt in ihrer jetzigen Form eine ganz neue Dynamik: Sie scheint Energie anzusammeln,157 die sich in den sequenzierenden Seufzermotiven entlädt. Um noch einmal den Vergleich aus der Kinetik aufzugreifen: hier würde ein zweimaliges Anstoßen (zu Beginn von Vorder-satz und Nachsatz) ausreichen, um das Stück in Bewegung zu halten. Diesen neuen leichten Charakter gewinnt dies Thema zudem dadurch, dass das Seufzermotiv um ein Achtel verschoben ist und somit auftaktig wird (vgl. T. 7 mit T. 106; s. auch No-tenbeispiel 17).Notenbeispiel 14: KV 593, Finale, Beginn Durchführung (Viol. I/II)Dagegen scheint das Quintett in Es bei äußerlicher Betrachtung ohne metrische Ecken und Kanten abzuschnurren. Doch wie auch schon bei der Harmonik liegen die Besonderheiten im Detail, spielen sich unter der scheinbar glatten Oberfläche ab. Gerade das vermeintlich so rustikale Trio – in der Art » einfachster, bordunbe-gleiteter Straßenmusik « 158 –, steckt voller Feinheiten, ohne jedoch jemals seinen tän-zerischen Charakter einzubüßen. Denn im Gegensatz zu den besprochenen Sätzen von KV 593 sind hier metrische Verschiebungen nur untergründig wirksam. Ähnlich wie das Finale von KV 593 beginnt es mit einer Art verlängertem Auf-takt, der jedoch im Gegensatz zu dort durch die schon nach dem ersten Viertel ein-setzende nachschlagende Begleitung in die achttaktige Periode eingebunden wird. Ganz anders in Takt 24/25 und noch deutlicher in T. 40/41: Hier werden die andert-halb Takte als echter Auftakt verstanden, verdeutlicht durch die fehlende Beglei-tung und das Crescendo, mit dem der Einsatz der übrigen Stimmen vorbereitet wird. Setzt man nun den Beginn des Themas erst von diesem Takt an, hat sich die Periode auf sieben Takte reduziert – ohne dass in der Melodie eine Note verändert worden wäre.159 157 Auch die konventionelle Verwendung von chromatisch aufsteigenden Tonfolgen unmittelbar vor Themeneinsätzen (zum Beispiel mehrfach in KV 614: Kopfsatz, T. 38; Andante T. 36) ist wohl auf die-sen gefühlten Anstieg des Energielevels zurückzuführen. – Vorbereitet wird dieses Spiel mit auf- und absteigender Linie in KV 593/IV übrigens schon in der vorangehenden Schlussgruppe (T. 93ff.).158 Manfred Hermann Schmid: Musikalische Syntax in Menuetten Mozarts. Anmerkungen zur Bläsersere-nade KV 361 und zum Streichquintett KV 614, in: Gesellschaftsgebundene instrumentale Unterhal-tungsmusik des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Hubert Unverricht, Tutzing 1992, S. 119–130, hier S. 123.159 Vgl. Schmid: Musikalische Syntax in Menuetten Mozarts, S. 125 (s. Anm. 158). Schmid zeigt, wie sich