440 Friederike Ramm Vordersatz und – melodisch erweitert und von Moll nach Dur gewendet – das, was Kirkendale als » Pathotyp « bezeichnete.173 Als Pointe des Satzes werden Vorder- und Nachsatz in einem Doppelfugato kombiniert. Anders als in KV 593 werden die Themen aber nicht unverändert über-nommen, sondern quasi barockisiert: durch fortspinnende Sequenzierungen des Vordersatzes und die Verwandlung des Nachsatzes in den » eigentlichen Pathotyp « in Moll.174 Notenbeispiel 20: KV 614, Finale, Durchführung (Beginn Fugato)Auch dieses Fugato ist – wie schon das Durchführungsfugato in KV 593 – frei von der Tonartenfolge einer Fugenexposition und führt von f-Moll über c-Moll, B-Dur, g-Moll und wieder f-Moll zurück zur Grundtonart Es-Dur (T. 112–138). Der Beginn der Reprise scheint vorbereitet zu sein, doch stattdessen setzt das Thema in der Molltonika ein (T. 152). Dem Fugato gegenübergestellt wird eine absolut unbarocke, geradezu romantisch angehauchte harmonische Durchführung des Themas: homo-phon, in Moll und modulierend bis Ces-Dur.175 Es ist das einzige Mal in diesem Quintett, das harmonisch so weit abgeschweift wird! So hat sich dasselbe Thema auf drei verschiedenen Stilebenen bewährt: im galanten Kontretanz, in der gelehr-ten Doppelfuge und schließlich in klassisch-romantischer Durchführungstechnik.176 Es fällt auf – und das ist wohl als Verdeutlichung dieser Gegenüberstellung zu se-173 Kirkendale: Fuge und Fugato, S. 218 (s. Anm. 162). Kirkendale definiert den » Pathotyp « als Formel mit der » Quint aus erster und fünfter Stufe mit der verminderten Sept aus ihren außerhalb liegenden Grenztönen. Charakteristisch ist der Sprung der verminderten Sept, der fast immer abwärts führt und den Akzent auf den Leitton richtet « (ebd., S. 137).174 Vgl. Kirkendale: Fuge und Fugato, S. 218 (s. Anm. 162).175 Vgl. auch Jahn: » neben der polyphonen Schreibweise [kommt] auch die homophone zu vollerer Gel -tung « (Mozart, Bd. 4, S. 105; s. Anm. 7); Abert: » [Das Wiederaufgreifen des Themas in Moll gibt] vor der eigentlichen Reprise Anlaß zu einem erheblichen Ausbiegen aus der Grundtonart « (Mozart, Bd. 2, S. 723; s. Anm. 8); Saint-Foix spricht von ›kühnen Modulationen‹: » une allure romantique et nouvelle, aussi éloignée qu’il est possible du langage ancien et de l’emploi de la scolastique!« (Mo-zart, Bd. 5, S. 204; s. Anm. 13).176 » [Die Quintette KV 593 und 614 sind] sowohl über die feste Zuordnung kontrapunktischer Techni-ken zu kontrapunktisch stilisierten Themen, konzertanter Techniken zu konzertanter Melodik, the -matischer Arbeit zu auf sie hin erfundenen Themen wie über die paradoxe Vertauschung solcher Be-züge (wie etwa im Finale KV 387) weit hinaus « (Finscher: Bemerkungen zu den späten Streichquin-tetten, S. 162; s. Anm. 27).