452 Wolfgang Ruf auf Erden « bildet so die letzte einer Reihe kompositorischer Novitäten wie die Sechs Orchesterlieder op. 8, (1903-05), das Erste Streichquartett d-Moll op. 7 (1905) und die erwähnte Kammersymphonie (1906) und ist eine gleichrangige Hervorbringung jener Aufbruchphase auf dem von den Hauptgebieten des seinerzeitigen Kompo-nierens abseits gelegenen Felde der Chorkomposition. Das Werk steht genau an der Schwelle zu jener Periode, die Schönberg als seine zweite bezeichnet und komposi-tionstechnisch mit dem Verzicht auf ein tonales Zentrum umschrieben hat.14 Seit seiner Rückkehr vom ersten Berlin-Aufenthalt (1903) befand sich Schönberg in einer Phase der umfassenden biographischen und künstlerischen Neuorientierung. Sie schlug sich nieder in der – neben den existenzsichernden Auftragsarbeiten für die Universal Edition – kurzzeitig ausgeübten Lehrtätigkeit an der neu eingerichteten Koedukationsschule der Dr. Eugenie Schwarzwald (1903) und im daraus hervorge-henden Privatunterricht für seine kompositorisch talentiertesten Schüler Alban Berg und Anton Webern (1904). Mit Alexander von Zemlinsky, Oskar C. Posa und ande-ren Gleichgesinnten gründete er die nur kurzlebige » Vereinigung schaffender Ton-künstler « zur Förderung der Akzeptanz neuer Musik, die vor allem das erstarrende Wiener Musikleben zu reanimieren suchte (1904/05).15 In die gleiche Zeit fiel die erste intensive Befassung des Komponisten mit der Malerei.» Friede auf Erden « war das erste vollendete und zur Aufführung gebrachte Chorwerk Schönbergs, nicht sein frühestes. Zuvor hatte er bereits einige Komposi-tionen geschrieben, bei deren Konzeption seine Erfahrung aus der Tätigkeit als Lei-ter verschiedener Arbeitergesangsvereine mit der Chorliteratur einfloss. Ihr Erpro-bungscharakter ist daraus zu erkennen, dass sie bis auf das nachfolgend erstge-nannte alle Fragment blieben: Gesänge für gemischten Chor a cappella (» Ei, du Lüt-te « , ca. 1895/96; » Siehst du am Weg ein Blümlein blüh'n « , 1896; » Canon Friedlicher Abend « , ca. 1896), für Männerchor und Blasinstrumente (» Wann weder Mond noch Stern am Himmel scheint « , 1897), für Männerchor a cappella (Georg von Freunds-berg, 1905) und für Frauenchor mit Streichquartett und Harfe (» Ein Harfenklang. Der Wind im dunklen Laube wühlend « ).16 Die zwischen 1900 und 1903 komponier-ten » Gurre-Lieder « , deren Instrumentation erst 1911 abgeschlossen wurde, sind für Soli, Chor und Orchester bestimmt.Nach Angaben von Egon Wellesz entstand » Friede auf Erden « ebenso wie eine der beiden unmittelbar danach (im April 1907) komponierten Balladen op. 12 im Zusammenhang mit einem Preisausschreiben, die Ballade für ein solches der Berli-ner Zeitschrift » Die Woche « .17 Die illustrierte Zeitschrift war ein konservatives, kai-sertreues Blatt, das über die bessere Gesellschaft, Militär, Technik, Kunst, Mode, 14 Vgl. Arnold Schönberg: My evolution (1949), in: Musical Quarterly 38, H. 4 (Oktober 1952), zit. nach Arnold Schönberg Gedenkausstellung 1974, Redaktion Ernst Hilmar, Wien 1974, S. 195.15 Vgl. Wolfgang Behrens: » …dieses Jahr war nicht verloren « . Die » Vereinigung schaffender Tonkünst -ler in Wien « und ein nicht von Schönberg verfasstes Memorandum, in: Jahrbuch des Staatlichen In-stituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, Kassel 2003, S. 249–264.16 Datierungen nach dem Werkverzeichnis in Christian Martin Schmidt: Schönberg, in: MGG2, Perso-nenteil 14, Kassel 2005, Sp. 1601.17 Vgl. Egon Wellesz: Arnold Schönberg, Leipzig und Wien 1921, S. 29 und 32.