Arnold Schönbergs » Friede auf Erden « op. 13 455 entstand erst nach dem Erscheinen von Meyers gesammelten » Gedichten « (1882), und zwar im Oktober 1886 auf Anfrage eines Redakteurs der in Berlin und Leipzig verlegten illustrierten Wochenschrift » Schorers Familienblatt « für deren Weih-nachtsnummer (erschienen im 7. Band 1886, Nr. 51, S. 801).22 » Schorers Familien-blatt « war im gemischten Inhalt und in der Aufmachung ein Konkurrenzjournal zur älteren und bekannteren » Gartenlaube « . Dass Meyer in seinem Gedicht jedoch nicht nur ein Gelegenheits- oder Gefälligkeitsprodukt für ein triviales Massenmedium sah, sondern ihm den Wert einer vollgültigen poetischen Schöpfung beimaß, be-weist die Aufnahme in die 1887 erscheinende dritte, erweiterte Auflage seiner Sammlung. Meyer eröffnete mit » Friede auf Erden « die » Frech und Fromm « über-schriebene siebte Abteilung der Gedichte, in der das Schicksal historischer Gestalten oder typischer Figuren aus dem christlichen Mittelalter thematisiert wird. Mit dem doppeldeutigen Wort » frech « ist sowohl positiv ein mutiges oder keckes als auch negativ ein dreistes Verhalten angesprochen, mit » fromm « sowohl die Gottgläubig-keit als auch die Rechtschaffenheit 23 – die antithetisch gesetzten Adjektive sind ge-eignet, die schicksalhafte Widersprüchlichkeit menschlichen Tuns anzuzeigen. In » Friede auf Erden « wird dieser Widerspruch als Signum der Menschheitsgeschichte betrachtet, was jedoch nicht die Hoffnung auf einen Wandel zum Besseren aus-schließt. Meyers Einstellung erschließt sich aus der Bereitschaft, das Gedicht der ös-terreichischen Schriftstellerin, Pazifistin und späteren Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner zur Verfügung zu stellen, mit deren Friedensliga er offen sympathisier-te.24 Der Dichter schenkte der Baronin die autografe Abschrift des Gedichts, und Suttner druckte den Text (ohne dessen Überschrift) im ersten Heft des Eröffnungs-jahrgangs der – den Titel ihres berühmten, aber nicht unumstrittenen Antikriegs-romans von 1889 25 übernehmenden – » Monatsschrift zur Förderung der Friedens-idee ›Die Waffen nieder!‹« ab (erschienen am 1. Februar 1892). Ob Schönberg bei der Entscheidung für » Friede auf Erden « die Beziehung zwischen Meyer und Sutt-ner und die propagandistische Nutzung des Gedichts durch die pazifistische Bewe-gung bekannt war, lässt sich nicht feststellen. Doch den radikalen Gestus und das provokatorische Potenzial der Verse, die Anmahnung und Prophezeiung einer Wende zu einem Besseren in der Welt, muss er intuitiv erfasst haben.22 Vgl. Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke, Bd. 4, Gedichte (Apparat zu den Abt. V, VI, und VII), hrsg. von Hans Zeller und Alfred Zäch, Bern 1975, S. 352–355.23 Vgl. ebd., S. 351f.24 Zu Meyers Sympathieerklärung ebd., S. 353f.25 Zur Rezeption und Wirkung des Romans siehe Edelgard Biedermann: Erzählen als Kriegskunst. Die Waffen nieder! Von Bertha von Suttner (= Acta Universitatis Stockholmiensis. Stockholmer Germa -nistische Forschungen 59), Stockholm 1995, S. 97–137.