Arnold Schönbergs » Friede auf Erden « op. 13 459 Die Musik Die musikalische Form des Chors ist primär am Aufbau des Gedichts ausgerichtet, jedoch setzt Schönberg zusätzliche, den vierzeiligen Halbstrophen des Textes ent-sprechende innerstrophische Zäsuren mit Mitteln der Tonart, des Tempos, der Dy-namik, Satztechnik und Motivik. Die Zäsuren sind trotz der Überlappungen der Stimmen deutlich vernehmbar. Jede Strophe besteht musikalisch aus zwei Teilen von jeweils ungleicher Taktzahl (I: 10+20, II: 16+28, III: 14+11, IV: 22+39). Die stro-phische Gliederung ist somit stärker ausgeprägt als die Anordnung nach dem Prin-zip der Sonatensatzform, die Jonathan Dunsby in seiner eingehenden und im Übri-gen überzeugenden Analyse beobachtet.27 Laut b- und Doppelkreuz-Vorzeichnung stehen die Teile abwechselnd in den Tonarten d-Moll und D-Dur und prägen so einen Dualismus aus, der auch in anderen Momenten der Partitur (Rhythmik, Satz-technik, Registerlagen) zu beobachten ist.28 Der Grundton d ist vornehmlich durch Platzierung an melodischen Wendestellen zu ermitteln; die jeweilige Tonika bleibt weithin ausgespart. So erklingt das d-Moll des Eröffnungsteils (T. 1–10) nur einmal flüchtig an (Takt 4), ist aber durch das mehrfach auftauchende g-Moll und B-Dur (vierte und sechste Stufe) und ein a-Moll (fünfte Stufe) zu erschließen. Auch das D-Dur tritt zunächst eher beiläufig auf, zuerst in Takt 12 (» himmlische [Gesind]« ), danach gegen Ende des ersten Refrains (T. 29), am deutlichsten jedoch in Takt 131 (letzte Silbe von » wird erblühn mit starken Söhnen « ) und ganz am Ende bei dem – nach kurzem Crescendo – fortissimo betonten und gedehnten Wort » Erde « (T. 153 und 159f.). Der strahlende D-Dur-Akkord bekräftigt überdeutlich die untergründige tonale Fixierung des Ganzen.Das trochäische Metrum der Verse wird weitgehend getreu in das rhythmische Gleichmaß des Viervierteltakts übertragen. Abweichende Dehnungen in längere Notenwerte (Halbe oder noch größere Werte) oder Synkopierungen berücksichtigen stets die Deklamation des Textes. Gleiches gilt für rhythmische Verkürzungen (Ach-telbildungen), die ab der zweiten Strophe die innere Dynamik verstärken. Die vor -herrschende Syllabik wird nur selten zur Hervorhebung wichtiger Wörter (wie » Friede « , » Erde « , » geraten « [im Sinne von » Rat geben « ], » gestalten « , » walten « , » Tu-ben [dröhnen]« ) verlassen. Dass die melodische Bewegung bei der trochäischen Ab-folge von Hebung und Senkung überwiegend abfallend verläuft und dabei eine Menge halbtöniger Seufzerbildungen hervorruft, ist nicht zu übersehen. Ob daraus auf eine » depressive melodische Gesamtstruktur « 29 zu schließen ist, ist dennoch zu bezweifeln: Der Höreindruck vermittelt bei dynamisch differenziertem und tempo-mäßig adäquatem Vortrag eher Emphase und Optimismus als Gedrücktheit.27 Vgl. Jonathan Dunsby: Friede auf Erden op. 13, in: Arnold Schönberg. Interpretationen seiner Werke, Bd. 1, hrsg. von Gerold W. Gruber, Laaber 2002, S. 172–180; zur fraglichen Orientierung am Sonaten-prinzip s. S. 179f.28 Vgl. ebd., S. 174f.29 Siegfried Günther: Das trochäische Prinzip in Arnold Schönbergs op. 13, in: Zeitschrift für Musikwis-senschaft 6 (1923), S. 163.