Arnold Schönbergs » Friede auf Erden « op. 13 463 Der durch den Wechsel von Homophonie und Polyphonie und durch Imitatorik be-stimmte motettische Satz ist primär vierstimmig; vor dem klanglich gesteigerten Schlussteil (ab T. 122) wird er nur ausnahmsweise zur Fünf- bis Acht-Stimmigkeit erweitert. Die kontrapunktisch dichteste Fügung enthalten die Takte 126–131: Ein kurz zuvor neu eingeführtes Motiv f (Terzabstieg + Oktav- oder Septsprung + Quartfall) und das Motiv r (Terzfall-Quartsprung-Quintfall) werden imitatorisch und in Umkehrung in allen acht Stimmen gebracht.30 Dissonanzklang folgt auf Dis-sonanzklang: sechs-, fünf-und vierstimmig. Die kontrapunktischen Verschlingungen und die potenzierte Dissonanzhäufung bewirken zum einen die Hervorhebung der zentralen, von froher Zukunftserwartung und Zuversicht erfüllten Textzeile » wird erblühn mit starken Söhnen « , und dies bei gleichzeitiger Unterlegung des hier wort-los erklingenden Frieden-Motivs r. Zum anderen bilden sie nicht zufällig ein Analo-gon für den verwirrenden Zustand der Welt. Die Botschaft ist klar: Die gewaltfreie Zukunft des Blühens und Gedeihens werden der Menschheit erst die starken Söhne bescheren können – Frieden setzt eine feste Hand und eine überlegene, ordnende Macht voraus, und er wird kommen, zwar nicht heute, gewiss aber morgen.Die spätromantisch übersteigerte Harmonik des Chorsatzes wirkt wie eine De-monstration der in Schönbergs » Harmonielehre « vertretenen These, dass es keine harmoniefremden Töne gibt und Klänge schon dadurch legitimiert sind, dass sie aus einer polyphonen – sei es eine stufenweise oder sei es eine chromatische – Stimmfortschreitung resultieren. Eklatant ist die Überzahl an Dissonanzklängen: Sept- und Nonenakkorde, häufige Fünfklänge und nicht seltene Sechsklänge, die durch doppelte oder dreifache Vorhalts- und Durchgangsdissonanzen entstehen. Sie werden scheinbar nicht » logisch « fortgeführt und gelangen erst in einem neuen, wiederum dissonanten Kontext von Linien und Klängen zur Auflösung, wie es Hartmut Krones am Beispiel der Schlusstakte aufgezeigt hat.31 Gehäufte Chromatis-men erzeugen an einer Stelle (T. 38f.), ob zufällig oder nicht, jedenfalls zu den Wor-ten passend (» o wie viele blut'ge Taten « ), die Ballung mit allen zwölf Halbtönen auf engstem Raum zweier Halbtakte.32 Dass der Komponist die Semantik bildhafter Figuren und die Klangsymbolik nutzt, um den Textgehalt adäquat umzusetzen, ist nicht nur an den zum gemeinsa-men Aufbruch mahnenden Glockenschlägen des Refrainmotivs zu erkennen. In der Sopranstimme sind der Nonenfall bei » niedre [Pforte]« (T. 7), der Gipfelton a 2 bei » Himmel « mit folgendem Oktavsturz (T. 18), der Skalenabgang bei » Friede auf der Erde « bei gleichzeitigem Auf- und Abstieg des Basses (T. 25–30), die Spitzentöne b 2 bei den Worten » blut[ge Taten]« und » Gehar[nischte]« (T. 40 und 45), der von Pau-sen unterbrochene Abgang bei einem späteren Friedensruf (T. 70–75) und der ab-schließende, chromatisch durchsetzte Descensus durch die None h 2 -a 1 (T. 152–160) 30 Dunsby wertet diese Takte als » historischen Markstein « , wo sich Vergangenheit und Zukunft, alter » Bachischer « und neuer, dodekaphoner Kontrapunkt begegnen (Dunsby: Friede auf Erden, S. 176, s. Anm. 27).31 Vgl. Hartmut Krones: Arnold Schönberg: Friede auf Erden op. 13. Schönberg Festkonzert am 14. 3. (1998) im Musikverein Wien, in: Österreichische Musikzeitschrift 53 (1998), H. 3–4, S. 55–57.32 Dunsby: Friede auf Erden, S. 178 (s. Anm. 27).