464 Wolfgang Ruf gewiss nicht zufällige, sondern bewusst gesetzte Akzentuierungen zentraler Aussa-gen. Als die rein klangliche Hervorhebung einer affektiv besetzten Wortkoppelung ist auch der enharmonisch ausgetauschte, achtstimmig ausgeführte Septakkord bei » flehend « /» klagend « /» leis « (T. 61) zu verstehen. Die übergreifende – in D-Dur und der Mollvariante – Tonalität dürfte ebenso wenig willkürlich gewählt sein: Die von Krones ins Auge gefasste Beziehung auf die herrscherliche Sphäre (d = re[x] für Kö-nig) ist nicht auszuschließen, sofern sie nicht auf das Bekenntnis zum Himmelskö-nig der Christen eingeschränkt wird.33 Wie wichtig Schönberg die konfessionelle Offenheit war, macht sein Einwand gegen die vom Verlag Tischer & Jagenberg in Auftrag gegebene Übersetzung des englischen Chordirigenten Arthur Fagge deut-lich, dessen dezidiert christologische Deutung der Komponist nicht akzeptieren konnte.34 Der betreffende Brief an den Verlag vom 16. Juli 1913 mit seinen kriti-schen Bemerkungen zu Fagges Übertragung ist überhaupt eine klare Bekräftigung des analytischen Befundes, dass es Schönbergs Intention war, die Stimmung und Empfindungen des Meyerschen Gedichts, den Sinn der Wörter und die Versdekla-mation genauestens in Töne umzusetzen.In » Friede auf Erden « bekundete Schönberg, der sich in den Jahren vor dem Ers-ten Weltkrieg noch zum Protestantismus bekannte und politisch mit der Sozialdemo-kratie sympathisierte, seine vordergründig christliche, letztlich jedoch überkonfes-sionell ausgerichtete und im Kern auf die Freiheit von Gewalt und Krieg ausgerich-tete Weltanschauung. Ein Pazifist oder ein Utopist war er dennoch nicht. Es stand für ihn außer Frage, dass der Weltfrieden erst erstritten werden muss und eine Ord-nung der festen Hand und das Verteidigen erlangter Werte voraussetzt. Mit vielen Zeitgenossen teilte er den Gedanken Nietzsches, dass Kriege zur steten Erneuerung der erschlaffenden Menschheit und der Kultur notwendig sind.35 Dem unbedingten Friedenswillen widerspricht nicht, dass Schönberg 1914, acht Jahre nach Komposi-tionsbeginn von » Friede auf Erden « , in voller Überzeugung einer notwendigen na-tionalpatriotischen Tat in den Weltkrieg ziehen wollte, getrieben von der » Sehn-sucht, mich in Reih und Glied zu stellen und wirkliche Kämpfe mit tausenden an-dern zusammen zu leisten.« 36 Nur durch sein Vertrauen in die Nützlichkeit von Kriegen ist es zu erklären, dass er noch unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs irreale Pläne zu dessen Verteidigung gegen revolutionäre Um-triebe und zur Rettung der Monarchie mit Waffengewalt durch ein Offiziersbatail-lon hegte.37 33 Vgl. Krones: Arnold Schönberg: Friede auf Erden, S. 55f. (s. Anm. 31). 34 Im Brief an Tischer & Jagenberg vom 16.7.1913 (KB S. XXXIIf.) monierte Schönberg u. a. die fragwür-dige Übertragung des zentralen Satzes » Wird erblühen mit starken Söhnen « wie folgt: » Die Worte ›Jesus bringeth man salvation‹ hätte ich aber, da sie der Kernpunkt sein müssten, formell anders wie -dergegeben.« 35 Vgl. Friedrich Nietzsche: Menschliches – Allzumenschliches I, 1878, Aphorismus 444 und 477, zit. nach Nietzsche: Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 2008, S. 289 und 311f.36 Brief an Alma Mahler, August 1914, zit. nach Hartmut Krones: Arnold Schönberg. Werk und Leben, Wien 2005, S. 225.37 Vgl. Eike Rathgeber: Dichtung, Wahrheit und der Lauf der Zeit. Schönbergs Schriften zur jüdischen