Arnold Schönbergs » Friede auf Erden « op. 13 465 Dass einst die Sehnsucht nach dem Frieden und die Vision vom idealen Reich der » starken Söhne « der kreative Impuls für das Chorwerk gewesen war, bestätigte Schönberg indirekt, als er, anlässlich der Aufführung am 24. Juni 1923 beim Frank-furter Musikfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, in einem Brief an den Dirigenten Hermann Scherchen, doppeldeutig auf Klanglich-Intonatorisches und Politisch-Soziales anspielend, von der » Illusion für gemischten Chor « sprach, einer » Illusion, wie ich heute weiß, der ich 1906 (?), als ich sie komponierte, diese reine Harmonie unter Menschen für denkbar hielt, und mehr als das: ohne dauerndes Be-harren auf geforderter Höhe des Tones nicht geglaubt hätte existieren zu können. Seither habe ich nachgeben lernen müssen und gelernt, dass Friede auf Erden nur möglich ist unter schärfster Bewachung der Harmonie, mit einem Wort: nicht ohne Begleitung. Wenn je einmal die Menschen dahin gelangen, Friede ohne Probe, vom Blatt zu singen, dann wird erst jeder Einzelne vor der Versuchung: zu sinken gesi-chert sein müssen!« 38 Nach Jahren geistigen und religiösen Suchens, den ernüchternden Erfahrungen des Krieges und den antisemitischen Erlebnissen beim Militär und im zivilen Alltag war Schönberg zur festen Überzeugung gelangt, dass der Lauf der Geschichte nur bedingt von den Menschen bestimmt wird, dass sie ihrem Schicksal nicht entrinnen können und gesellschaftliche Umstürze unumgänglich sind. Nicht zu überhören ist der apodiktische Tonfall Nietzsches, den der Komponist wenige Wochen vor der besagten Frankfurter Aufführung in seinem von Entrüstung erfüllten Schreiben an Wassily Kandinsky vom 4.5.1923 anschlägt:Ich bin kein Pazifist; gegen den Krieg sein ist so aussichtslos, wie gegen den Tod sein. Beides ist unvermeidlich, hängt nur zum geringsten Teil von uns ab und gehört zu den Methoden der Erneuerung des Menschengeschlechts, die nicht von uns, sondern von höheren Mächten erfunden sind. Ebenso gehört die jetzt sich vollziehende Umschichtung in der socialen Struktur nicht auf das Schuldenkonto irgend eines einzelnen. Sie ist in den Sternen geschrieben und vollzieht sich mit Notwendigkeit.39 Die Botschaft vom ewigen Frieden, vom Endzustand der Harmonie und des Guten in der Welt, ist untrennbar verknüpft mit der Heilserwartung der christlichen wie der jüdischen Religion. Sie hat daher für Schönberg mit dem von ihm zunehmend Politik, in: Arnold Schönberg in seinen Schriften. Verzeichnis – Fragen – Editorisches, hrsg. von Hart -mut Krones (= Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg 3), Wien, Köln, Weimar 2011, S. 222.38 Brief an Hermann Scherchen vom 23. 6. 1923, zit. nach: Arnold Schönberg: Stile herrschen, Gedanken siegen. Ausgewählte Schriften, hrsg. von Anna Maria Morazzoni unter Mitarbeit von Nuria Schoen-berg Nono und Ivan Vojtech, Mainz 2007, S. 377. Heister deutet diese Äußerung über die » reproduk-tionstechnische Notwendigkeit « der ad-libitum-Begleitung treffend als » politische Allegorie « (Heis-ter: Ohne Hunger und Angst, S. 483 (s. Anm. 3), S. 483.39 Brief an Wassily Kandinsky vom 4. 5. 1923; zit. nach Arnold Schönberg. Wassily Kandinsky. Briefe, Bilder und Dokumente einer außergewöhnlichen Begegnung, hrsg. von Jelena Hahl-Koch, München 1983, S. 95.