Von der Sprache und ihren Konzepten in der musikalischen Analyse 1 Gerhard Schmitt 1 Interdisziplinarität und Sprache, oder: Neue musikalische Theorien, mit Fantasie Für die Musiktheorie hat man unlängst erkannt, dass eine Standortbestimmung not-wendig geworden ist.2 Vor dem Hintergrund eines zunehmend interdisziplinären Wissenschaftsverständnisses stellt sich die Frage nach der Zugehörigkeit der Kern-disziplin und den Grenzen ihrer Erweiterbarkeit. Auf keinen Fall dürfe die Mu-siktheorie zu dem werden, was Clemens Kühn mahnend als ein Verramschen im Gemischtwarenladen bezeichnet.3 Dies wäre in der Tat der Fall, würde man keine Grenzen ziehen. Grenzen müssen sein, will das Fach nicht ins Diffuse entschwin-den. So oder ähnlich mag das Heinrich Schenker, der energische Kämpfer für die ech-te kompositorische Meisterschaft, empfunden haben. Seine Zeit war ihm ein Graus, denn sie produzierte angeblich zu viel Schund. Dies nachzuweisen und Spreu von Weizen zu trennen, war bekanntlich sein Hauptanliegen, weswegen er ein spekta-kuläres Analyseverfahren entwickelte. Alles, was über den Blick in das Stück hin-ein, der Genese dreier Schichten und den darin heranwachsenden Stimmführungs-produkten, keinen sogenannten Ursatz mit Urlinie offenbarte, war für Schenker schlicht keine Kunst. Weil sich so viele Zeitgenossen aber Komponisten schimpften und die echte Musik als das göttliche Geschenk aus seiner Sicht beschädigten, trat er an, das Schwert zu schwingen. Gegen jene, die die reine Lehre von der Dissonanz als Durchgangsphänomen verließen, so z. B. Arnold Schönberg, der, beseelt vom Gedanke der Emanzipation aller Klänge, mächtig einstecken musste. Aber auch Gu-1 Dieser Aufsatz hatte ursprünglich einen starken biographischen Bezug, der allerdings aus Gründen editorischer Ökonomie entfällt. Es bleibt aber der Kerngedanke einer sich über das aktive Berufsleben verändernden Wissenschaftswelt, die auch die Musiktheorie erfasst und vor neue Herausforderun -gen stellt. Eine solche Herausforderung besteht beispielsweise in der wachsenden Akzeptanz von In-terdisziplinarität als tragfähigem Wissenschaftskonzept im Allgemeinen und der Rolle, die Sprache darin spielt, im Besonderen.2 Vgl. Christian Utz (Hrsg.): Musiktheorie als interdisziplinäres Fach. 8. Kongress der Gesellschaft für Musiktheorie Graz 2008, Saarbrücken 2010.3 Clemens Kühn: Musiktheorie ist Musiktheorie ist Musiktheorie, in: ebd., S. 25.