Von der Sprache und ihren Konzepten in der musikalischen Analyse 487 Da es sich bei diesen Konzepten um ein kognitives Grundmuster des Menschen handelt, funktioniert das Verstehen von Musik und deren Theorien ganz ähnlich. Aufgrund der Kohärenz der sprachlichen Metaphernkonzepte könnte man von KAUDERWELSCH sprechen, wenn sich z. B. nicht unmittelbar der Sinn einer Mu-sik erschließt. Das gängige Konzept | MUSIK-IST-SPRACHE| bewirkt in der Regel eine entsprechende Sprachmetapher, etwa » Ich verstehe, was mir der Komponist sa-gen will « etc., das Wort Kauderwelsch gehört dem sich öffnenden Sprachfeld an. Es besteht also einerseits begriffliche Kohärenz, andererseits bedeutet dies aber auch, den zu konkretisierenden Sachverhalt eben noch nicht verstanden zu haben. Viel-leicht, weil eine unmittelbare Verständlichkeit nicht gegeben ist, etwa durch das Fehlen antizipierbarer Strukturen und Gestalten. Bei den Metaphernkonzepten haben wir es folglich mit einer Art Erkenntnis-instrument zu tun. Man könnte also den Versuch unternehmen, eine musikanalyti-sche Erkenntnistheorie zu begründen. Indem man die künstlerischen Metaphern, die der Komponist absichtsvoll einsetzt, auf übergeordnete Konzepte hin unter-sucht, kann man prinzipiell auf nicht bewusste Konzepte schließen. Die Idee dabei: Was auf der Sprachebene funktioniert (kognitives Metaphernmodell bewirkt sprachliche Metapher), sollte doch eigentlich auch auf der Musikebene funktionie-ren (kognitives Metaphernmodell bewirkt musikalische Metapher). Die Erkenntnis-verläufe sind bidirektional, d. h. man kann auch von der sprachlichen Oberfläche aus auf den kognitiven Untergrund schließen. Der Zugewinn für eine solche neue Musiktheorie besteht darin, über die denotative Oberfläche einer Partitur Rück-schlüsse über die Vorstellungen und Denkweisen im wissenschaftlichen bzw. künst-lerischen Erkenntnisprozess des Komponisten ziehen zu können. 1.2 Symbolsysteme Am ehesten lässt sich Musik auf der Symbolebene vergleichen. Ob komplexe Klang-kunst oder ein achttaktiges konventionelles Musikbeispiel, immer haben wir einen Verweiszustand, etwas steht für etwas. Gleichwohl sich Umfang und Art der Um-setzung deutlich unterscheiden können, geht es im Prinzip doch stets um das Über-setzen einer notationalen Zeichenfolge in Klang. Es geschieht nichts anderes, als dass die Zeichen des einen in ein anderes Symbolsystem überführt werden. Ob klas-sische Notation oder Verlaufsvorschrift, die Vorgänge sind prinzipiell vergleichbar, weil aus den Zeichen immer präsentative Symbole entsteigen.Unter einem präsentativen Symbol versteht man eine Botschaft jenseits des Zei-chenreservoirs etwa einer gesprochenen Sprache, deren Zeichen man auch diskursiv nennt. Diskursivität gilt auch etwa für die Zeichen eines Notationssystems. Es ist die Gesamtheit aller Töne, die zur Klanggestalt gerinnt im Ohr des Hörers. Wie das Beispiel von Pärt zeigt, sind die Strukturen sehr gut antizipierbar. Zumindest birgt der Wechsel zwischen Vokal- und Instrumentalstimmen keine die Kognition über-fordernde Überraschung. Eben das hält die Aufmerksamkeit aufrecht und vermei-