492 Gerhard Schmitt tionen im Ch. I., die intuitiv zur Nachahmung führen, macht das Verstehen des Ge-schehens latent körperlich. In anderen Kulturen ist dieser Laut fester Bestandteil des Phonemrepertoires, der Leser dieses Aufsatzes verbindet damit und in seiner Spra-che körperlich unangenehme Erfahrungen wie WÜRGEN/SPEIEN. Es wird bei wei-terer Sichtung der Szene eine zunehmende Beklemmung induziert, beispielsweise durch die wimmernden Töne im Ch. II/III. Alptraumhaft nunmehr die knirschende Walze, deren Sound in Kombination mit der allgemeinen Stimmung und der Atem-not durch die gehaltenen Töne zu einem allgemeinen Gefühl des Erstickens bei-trägt. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt, doch geht es in » Ekstasis « in Einem so fort. Es sind also nicht nur künstlerische Metaphern, die eine intensive Beobachtung auf diese Weise zu Tage fördert und benennt. Aus ihnen lässt sich auch auf das übergeordnete Konzept, das kognitive Metaphernmodell schließen. Der Tintinnabuli-Stil selbst darf als ein solches bereits betrachtet werden. Was man bei Pärt auch als | KLANG-IST-STILLE| konzeptualisiert mag, könnte bei Schnebel | KLANG-IST-ATEM| heißen. Das beinhaltet auch das jeweilige Gegenteil, wie wir mit den Bei-spielen sehen konnten, also das Fehlen oder Verweigern von Stille bzw. Atem. Die beschreibende Analysesprache darüber und ihre Konzepte sind wiederum das Re-sultat eines Szenischen Verstehens der Metaphernmodelle. Ihre metaphorische An-reicherung konzeptualisiert bei zeitgleicher Rückwirkung auf das zu analysierende Klangkunstwerk die Wahrnehmungen. Im Einzelnen geht es dabei um folgende Fragen, was verkörpert das Stück bzw. was stellt es dar, wie ist es entstanden, welche Relevanz hat es für den Rezipienten/Analysierenden, was löst es aus? Die Analyse ist stets als ein Prozess und auf keinen Fall als eine To-do-Liste, auf der man die ein-zelnen Schritte mit ihren impliziten Fragestellungen abhaken würde, aufzufassen. 2 Fazit Es heißt, der Fantasie sei keine Grenze gesetzt. Das stimmt nur zum Teil. Gewiss, keine Grenze hat sie, wenn man darunter all die Vorstellungsinhalte subsumiert, wie sie sich beim Erleben von Klangkunst aufdrängen. Sie muss aber ihre Grenze da haben, wo man durch die Wahl der Mittel zur theoretischen Beherrschung dieser Unbegrenztheit Herr werden will. Die Symbolsysteme von Sprache, von Klang-kunst und die im Rahmen der Theoriebildung sind jene Bandagen, die diese appli -kativen Grenzen festzurren. Dem Mut des Entdeckers für neue theoretische Fantasi-en ist es zu verdanken, dass neue, gleichwohl fremde und erfahrungsbedürftige Methoden wie das Szenische Verstehen zur Verfügung stehen. Dabei ist es ganz und gar nicht despektierlich, dies als einen ersten Versuch zu begreifen, der sich im Wettbewerb der Ideen noch behaupten muss.