Knotenpunkte im Leben und Schaffen eines Künstlers 495 lauf fand.6 Es bedeutet einen Versuch, sich von der übermäßigen Abhängigkeit zu befreien – sowohl von der geerbten Konvention, als auch vom Gegenstand einer früheren Faszination. Ein Versuch, sein eigenes Gesicht zu zeigen.(4) Moment der bedeutungsvollen Begegnung. Gemeint ist hier die Begegnung, zu der es in den schon reifen Jahren kommt. Begegnung mit einer Persönlichkeit, die direkt oder auch indirekt erfolgt, also z. B. als das Werk, das wichtig und vertraut wird. Dabei geht es immer um eine Wahl, die völlig bewusst getroffen wird. Nach Karl Jaspers wäre es dieser Moment, in dem es zur Kommunikation nicht mehr em-pirischer, sondern existentieller Natur kommt.7 Nach der Hermeneutik – wäre es die Situation eines spezifischen Dialogs. Seine » Kehrseite « könnte eine Funktion ausüben, auch wenn sie nicht größer als die eines Katalysators wäre. Es ist der Mo-ment, in dem der Schöpfer, dank dieser » Begegnung « – » alle Segel aufspannt « .8 (5) Moment der Existenzbedrohung. Moment, in dem sich auf das Leben der » Schattenstreifen « legt – wenn wir an das bekannte Idiom Josephs Conrads anknüp-fen.9 Der Schatten tritt in der Gestalt einer Gesundheitskrise auf, der Bedrohung der materiellen Existenz, der schöpferischen Schwäche, der Verzweiflung an dem Sinn eigenen schöpferischen Weges. Es wirkt als Warnung, als memento. Zugleich bedeu-tet es auch die Mobilisierung aller Kräfte, die für die Überwindung der Bedrohun-gen unentbehrlich sind.(6) Zum Schluss: Moment der tiefen Empfindung der Einsamkeit und zugleich der Befreiung der Phantasie von allen bisherigen Beschränkungen. Darunter verstehe ich den ganzen Komplex der Erlebnisse und der existentiellen Erfahrungen. Es ist also die Zeit der Trennung und des Abschieds, Zeit einer neuerlichen Hinwendung zur Vergangenheit und des Vorauseilens in die Zukunft, der Moment der plötzlichen Belebung der Erinnerungen, aber auch der geradezu irrationalen Pläne. Vor allem bedeutet es aber das tiefe Erleben der Einsamkeit und die Befreiung der Phantasie, die schon » neue Ufer « anstrebt. Der invariante Charakter des hier präsentierten Modells ergibt sich – was deut-lich zu betonen ist – allein aus der Natur der Sache. In der Wirklichkeit existieren davon jedoch nur Varianten, was auch selbstverständlich ist. Die Invariante bedeu-tet somit eine ausschließlich theoretische Konstruktion und ist in der Praxis nicht mehr als ein dem Vergleich dienender Bezugspunkt. Die Mannigfaltigkeit der zu verzeichnenden Varianten dieses invarianten Modells ist unbeschränkt. Aber auch in dieser Hinsicht können bestimmte » Regelmäßigkei-ten « festgestellt werden. Jeder der hier genannten Momente kann im betreffenden Lebenslauf Folgendes beinhalten:6 Vgl. Theodor de Wyzewa: La crise romantique de la vie de Joseph Haydn, Revue de deux Mondes 1909, Nr. 51.7 Siehe Roman Rudziński: Jaspers, Warszawa 1978, S. 97.8 Metapher aus der Ersten Sinfonie Gustav Mahlers; ihr 3. Teil wurde mit der Anmerkung » Mit vollen Segeln « versehen.9 Anspielung an die Metapher aus dem Roman » The Shadow Line « (1917) von Joseph Conrad-Korze -niowski.