Knotenpunkte im Leben und Schaffen eines Künstlers 499 Schematismus bezeichnet werden, obwohl diese Bezeichnung angesichts der verwi-ckelten Wirklichkeit nicht ganz adäquat ist.Um den Bedeutungsbereich dieser Differenzierung klar zu machen, möchte ich eini-ge Beispiele nennen:Traditionalismus. Er betrifft z. B. jene Nachahmer der Musik F. Chopins aus dem 19. Jahrhundert, die sich nur auf das Komponieren von unzähligen Mazurkas, Polo-naisen und Nocturnes beschränkt haben.Epigonentum. Ein besonders zutreffendes Beispiel scheint hier das Werk G. Meyerbeers zu sein. Aber auch z. B. die Produktion der modernistischen Avantgar-de, die sich bis heute auf P. Boulez, K. Stockhausens oder J. Cage stützt.Manierismus. Es geht hier um hervorragende Komponisten, die zwar ihre kom-positorische Reife erreicht haben, aber den Stil der monologischen Wiederholung ei-gener technischen Formeln und stilistischen Idiome nicht aufgeben konnten, Kom-ponisten, wie z. B. J. N. Hummel, J. Field, V. Bellini, G. Gershwin, N. Miaskowski (Autor von 27 Sinfonien), C. Orff.Akademismus. Hier wären solche Komponisten zu nennen wie F. Mendelssohn, A. Głazunow oder J. Sibelius. Sie haben nicht nur die reife Phase ihres individuellen Stils erreicht, sondern sogar ihre Gipfelphase. Dann fingen sie aber an, ihre Gipfel-leistungen zu wiederholen. Schematismus. Ein gutes Beispiel für » Sich-selbst-Wiederholen « , nachdem die Phase des späten Stils erreicht worden ist, scheint G. Rossini zu sein, als Autor von zahlreichen Miniaturheften unter dem Titel » Péchés de vieillesse « (Sünden des Al-ters).5.Zu erwähnen wäre aber noch ein Phänomen, noch eine Regelmäßigkeit, und zwar eine spezifische Identifizierung des Stils einer bestimmten Phase im Schaffen eines gegebenen Komponisten. Wenn die Kraft des Erlebnisses eines der betreffenden Momente (Knotenpunkte), die ich eben genannt habe, ihren Gipfel oder ihre Fülle erreicht, kann sie in einen der Zustände eintreten, die schon bei den Griechen der Antike ekstasis (Aus-sich-selbst-Austreten) oder katharsis (Zustand der Entsühnung) genannt wurden. So kann z. B. der ekstasis-Zustand erreicht werden bei dem Moment der ersten Faszination, der bedeutungsvollen Begegnung, der befreiten Phantasie. Der kathar-sis-Zustand kann dafür den Sturm und Drang-Moment oder den Moment der » exis-tenziellen Bedrohung « begleiten, was sich auf die Revision und Reduzierung der Mittel auf ein Minimum auswirkt.Infolge eines besonders intensiven Erlebnisses wird eine der Schaffensphasen be-sonders stark betont. Für den Komponisten gewinnt dann das Werk einer bestimm-ten Phase seines Schaffens an Bedeutung. Man kann sagen, dass z. B. für Robert Schumann die reife Phase seines Schaffens eine ganz besondere Bedeutung hatte,