Warum Musik keine Kunst ist Petra Weber Es ist keine Kunst festzustellen, dass Musik eine Kunst sei. Wer aber über die Gren-zen des umgangssprachlichen Verständnisses für den Begriff der Kunst hinausgeht und sich fragt, was die europäische Tradition an Vorarbeit geleistet hat, damit die deutsche Sprache einen präzisen Vorstellungshorizont mit dem Wort ›Kunst‹ ver-binden kann, und welche Vorstellung dies etwa in Abgrenzung zu den älteren Be-grifflichkeiten wäre, kommt nicht umhin, die Problematik einer unbefragten Sub-sumption der Musik unter den Begriff der Kunst zu bemerken. Mag es noch relativ bequem sein, über die Konstruktion des Genies, des Autors sowie des Regelbruchs, einen Kunstbegriff aufzustellen, mit dem alle sogenannten Kunstgattungen – Male-rei, Skulptur, Architektur, Literatur und Musik (aber wie halten wir es mit dem Tanz?) – scheinbar zu erfassen sind, so bleibt diese Vereinnahmung der Kunstgat-tungen durch eine im 18. Jahrhundert valide Systematisierung doch recht blass, so-bald man sich der Spezifik jeder einzelnen dieser Kunst›gattungen‹ nähert. Sie alle sind von einer Wirklichkeit, die die methodische Kodifizierung ihrer Beschreibung, wie sie die philosophische Disziplin der Ästhetik vornimmt, stets und weit hinter sich lässt – was ja sympathischerweise im Geniebegriff auch umstandslos einge-räumt wird. Dass dieser Wirklichkeit nur beizukommen ist in der Anstrengung des Nachvollziehens einzelner, individueller Strukturen, ist eine von der Ästhetik nie-mals zur Gänze anerkannte Einsicht: eine Einsicht, die die Reichweite ästhetisch-philosophischer Aussagen geradezu empfindlich einzuschränken in der Lage ist. Solche Einsicht haben nur die heute gerne als ›Spezialisten‹ Bezeichneten: diejeni-gen, die sich geduldig in die je einzelne Werkindividualität versenken, die auch technisch versierten Fachleute – eine eher ungeliebte Spezies.1 Ich versuche zunächst, die philosophiehistorische Diskussion zusammenzufas-sen und den Kunstbegriff in seinen drei wichtigsten historischen Erscheinungsfor-men als Gegenbegriff zur Vorstellung von ›Natur‹ zu fassen, um so einerseits dem Zwang zur Spezifizierung nach Kunst›gattungen‹ zunächst zu entgehen, anderer-seits für die Musik selbst eine begriffliche Folie bereitzustellen.Die Begriffspaare, die uns die Zusammenstellung von Natur und Kunst vorlegt, sind diese drei: φύσις (physis) gegen sowohl νόμος (nomos) als auch τέχνη (technē); natura gegen sowohl ordo als auch ars; Natur gegen Kunst. Das griechi-1 Der Jubilar verkörpert in nuce diesen Typus des Fachmannes, und so hoffen die hier ausgebreiteten Überlegungen auf sein Wohlwollen.