504 Petra Weber der Karolingerzeit in » De universo « des Hrabanus Maurus oder im 11. Jahrhundert in den naturwissenschaftlichen Arbeiten Avicennas (= Ali Sina). Wir haben es dabei mit einer Seite der mittelalterlichen Philosophie zu tun, die im Bemühen um die Tradierung oder Wiedergewinnung des antiken Denkens vermutlich weniger scho-lastischem Kreuzfeuer ausgesetzt war und die im Folgenden skizzierten Vorstellun-gen eher unauffällig als Schulstoff durch die Jahrhunderte vermittelte.Das Wort ›Kosmos‹, aus der indogermanischen Wurzel kod = ordnen entstanden, ist bei aller Vielfalt seiner Bedeutungsfelder im Grundtenor von der Vorstellung ei-ner Wohlgeordnetheit oder schönen Ordnung bestimmt und bezieht sich auf die Natur im Sinne von Welt und Weltall. Kosmos ist die (schöne) Weltordnung. Im ge-meingriechischen Mythos ist Kosmos mit Harmonia vermählt, der Tochter des Ares und der Aphrodite. In Harmonia vermählen sich also Krieg und Liebe oder Ausein-andersetzung und Vereinigung. Harmonia (vom griechischen αρμόζω (harmozō) = zusammenfügen, verklammern) ist das Prinzip der griechischen Musik. Das Wort bezeichnet die aus zusammenklingenden (konsonanten) und auseinanderklingen-den (dissonanten) Teilen bestehende Oktavenstruktur, und wir gehen nicht zu weit, wenn wir Harmonia wenn nicht mit dem Wort ›Tonsystem‹ übersetzen, so doch in engsten Zusammenhang bringen. Und nun spricht der Mythos von der Vermählung der Harmonia mit Kosmos. Diese Verbindung von Kosmos und Harmonie ist uns lange in die europäische Geschichte hinein geläufig in der Vorstellung von der Sphärenharmonie, über die ich jetzt noch einige Worte sagen muss.Sphärenharmonie heißt derjenige Bereich der musica mundana, » der sich in der proportional geordneten Bewegung und gegenseitigen Entfernung der Planeten bzw. der Sternenkreise (Sphären) manifestiert « .11 Die Pythagoreer nahmen an, dass die Bewegung auch der Gestirne wie jede Bewegung Töne hervorbringe, und als musica coelestis wurde das abstrakt-mathematische Ordnungsprinzip bezeichnet, wie es speziell unter den Gestirnen waltet. Weltsystem und Tonsystem stehen in ei-nem reziproken abbildhaften Verhältnis zueinander; die dissonanten und die kon-sonanten Tonkonstellationen, die wir Intervalle nennen, bringen die unhörbare mu-sica mundana in die Hörbarkeit der musica instrumentalis. Diese Parallelität des to-nalen und des kosmischen Systems verbietet es meines Erachtens, auch die Musik unter diejenigen artes zu rechnen, die die Natur imitieren. Die musica instrumenta-lis beruht auf denselben Gesetzen wie die musica mundana, nur im Bereich des Hörbaren: sie imitiert nicht, sie ist nicht abhängig von einer ihr vorgeordneten Ge-gebenheit, sondern beide – diese Natur und die Musik – funktionieren nach demsel-ben Prinzip, nämlich nach dem Prinzip der Zahlen. Noch Johannes Kepler hat diese Vorstellung geteilt, und ich habe in der Dichtung besonders drei Stellen gefunden, die das Wissen um die Vorstellung der Sphärenharmonie bezeugen. In seinem frü-hen Gedicht » On the Morning of Christ’s Nativity « von 1629 spricht John Milton in der Mittelstrophe von der Sphärenharmonie:11 Fritz Reckow: Sphärenharmonie, in: Riemann Musiklexikon, Mainz etc. 121967, S. 894.