510 Petra Weber nicht in den Verdacht geraten, eine Diskussion um diesen Begriff, bezogen auf mu-sikalische Kunstwerke, kritisch zu interpretieren oder gar seine Gültigkeit für musi-kalische Kunstwerke in Frage zu stellen. Auch können wir die folgende Prämisse deutlich aussprechen: wenn überhaupt je das Wort ›schön‹ eine allgemeine, selbst-verständliche und vermeintlich unmissverständliche Anwendung auf musikalische Phänomene finden konnte, dann zu der Zeit, in der Band 9 des Grimmschen Wör-terbuchs erarbeitet wurde und erschien. Der mit 22 Spalten zwar nicht ausufernde, aber doch gründliche Artikel deutet zunächst, Jacob Grimm vorsichtig korrigierend, die Möglichkeit an, dass das Wort etymologisch nicht von ›scheinen‹, wie Grimm annahm, sondern von ›schauen‹ abzuleiten sei.25 Die Stellenbelege zeigen 20 ½ Spalten für Bedeutungen des Wortes im Zusammenhang mit dem Gesichtssinn, eine Spalte für Bedeutungen des Wortes im Zusammenhang mit Sprache und sprach-lichen Kunstwerken sowie eine halbe Spalte für Bedeutungen des Wortes im Zu-sammenhang mit der » angenehmen erregung anderer sinne « , nämlich des Gehörs, Geruchs und Geschmacks: ›schön‹ ist kein Epitheton, das der Musik und mit ihr der Komposition nahestünde.26 Wir haben kein Wort, um die Wohlgeordnetheit der Musik, auch nicht in ihrer angenehmen Wirkung auf uns, zu benennen. So versagt die deutsche Sprache ihre Mittäterschaft bei dem Versuch der aufgeklärten Philoso-phie, die Musik ins Raster der Künste zu zwängen. Wenn wir uns nun umsehen nach einem Wort, das wir für die ›Schönheit‹ von Komposition gebrauchen könnten – welches stünde uns zur Verfügung? Sollen wir unsere Zuflucht beim Mythos neh-men und sie ›harmonisch‹ nennen? Und wenn die musikalische Komposition har-monisch wäre und nicht schön: Wäre dann die Musik keine Kunst, sondern ein Kos-mos?25 Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 191963, bearb. v. Walther Mitzka, Stichwort » schön « nennt ebenfalls als Grundbedeutung, abgeleitet von der indogermani -schen Wurzel *(s)keu-, » ansehnlich « in Parallele zu » laut ›was gehört werden kann‹« .26 Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Neunter Band […] bearb. v. Dr. Moriz Heyne …, Leipzig 1899, Sp. 1464 –1486, die auf musikalische Phänomene bezogene Nennung Sp. 1476. Heyne bemerkt dazu: » die vertiefung der bedeutung knüpft an die wirkung auf auge und ohr an. Andrer-seits verbreitert sie sich in folge der übertragung auf gesicht und gehör, geruch und geschmack … zu der allgemeinen, häufig verflachten von ›angenehm, erfreulich, freundlich‹ überhaupt « – Dass es in diesem Sinne » schöne Musik « gibt, wird gewiss niemand bestreiten.