Hommage à PR1 531 Die Partiturtabelle sieht im Prinzip für einen Akkord nur jeweils ein Instrument vor. Das notwendige Aufteilen der Akkordtöne auf die Melodie-Instrumente erfolgt da-her in freier Gestaltung. Insbesondere lassen sich Einzelinstrumente zu Gruppen zu-sammenfassen, die eine Aufteilung auf die Akkordtöne nahelegen.Hier wird auch deutlich: Die Akkorde sind nicht nur homophone Ereignisse, sie können vielmehr als Knotenpunkte von linearen Gebilden aufgefasst werden: Durch die komponierten Dauern der Töne treten einzelne Stimmen – unterstützt durch crescendo- und decrescendo-Verläufe, die zum je nächsten Lautstärkewert vermitteln – zu einem sich stets verändernden, polyphonen Netz aus kurzen moti-vischen Gestalten zusammen.Der Ausschnitt des Beispiels zeigt ausschließlich Akkorde. Wie Akkorde » hori-zontalisiert « , d. h. in Tonfolgen und Motive aufgefaltet werden können, zeigt der Komponist anhand eines Ausschnitts aus seiner Komposition Intermezzo (Segmente 85–91).20 Das interpretierende Verfahren, durch die Analyse der Reihenstruktur der Para-meterspalten Formsegmente zu finden, die zur Ausarbeitung der Partitur inspirie-ren können, hat Koenig wie folgt beschrieben:21 Beim Komponieren mit PR1 stieß ich nämlich wiederholt auf einen Umstand, der mir aus der Theorie wie aus der Erfahrung längst bekannt war: daß musi -kalische Einzelelemente (z. B. Töne) zu kleinen Zellen zusammenschießen, daß solche Zellen einander komplementieren und zu größeren Einheiten komplet -tieren. Eine einzelne Zelle ist gewissermaßen ›ungesättigt‹ und verlangt nach Vervollständigung, zumindest Fortspinnung. Die Zelle wird so zum Potential für die weitere Formentwicklung. Solche Zellen finden sich in allen Parame-tern, und so, wie die Parameter-Reihen sich zu immer anderen Konstellatio-nen überlagern, so überlagern sich die Zellen. Ich nannte, was ich hier Zelle nenne, damals ›kleinste musikalische Größe‹ und forderte meine Studenten auf, in der von PR1 erzeugten Ereignisliste solche kleinsten musikalischen Größen aufzusuchen. […]Der Kern stellt nämlich eine Ausgangsposition dar, worin die verschiedenen Elemente (Tonhöhen, Dauern) und einige elementare Verknüpfungen (Wie-derholungen, Bereiche, Beziehungen) ›vorgestellt‹ werden; mit einem aus der Formenlehre bekannten Begriff nennen wir den Kern nun eine Exposition. […]Erscheinen nun nach dem Kern sukzessive die Folgetöne (oder -akkorde), wird sich eine neue Gestalt – vielleicht eine Variante des Kerns – von diesem lösen.Verabredungsgemäß ist die Variante durch Permutation aus dem Kern ge-wonnen; beide stehen in einem Verhältnis zueinander, das jetzt manifest wird. 20 Koenig: Umgang mit Projekt 1, S. 338ff (s. Anm. 3).21 Ders.: Projekt 1 Revisited. Zur Analyse und Interpretation von PR1-Tabellen. 1997, in: Ästhetische Praxis 5 (2002), S. 211.