558 Gerhard J. Winkler matischen Sekundverschiebung paralleler kleiner Septimen (bzw. enharmonisch umgeschrieben als eine Folge von übermäßiger Sexte f–dis und kleiner Septime e–d) bei festgehaltener Terz gis–h, die ihre Stimmen tauschen (die untere Zeile zeigt bei-de Varianten),8 beruht:Notenbeispiel 4 Die Extrapolation der zugrunde liegenden Harmoniefolge ist nicht ohne Interpreta-tionstücken zu bewerkstelligen. Denn wie man dem Mozartschen Kadenzmodell die Tristan-Vorhalte als Melodielinie » hinzu setzen « kann, so kann diese umgekehrt im Tristan-Akkord ausgeblendet werden. Bei dieser harmonischen Reduktion kann zwar unberücksichtigt bleiben, dass die den beiden Harmonien gemeinsamen Töne gis und h nicht liegen bleiben, sondern einen Stimm- und Lagenwechsel vornehmen. Aber es ergibt sich die Frage, ob man die berühmte Tristan-Harmonie f–h–dis1–gis1, so wie dies durchwegs getan wird, tatsächlich als » Akkord « nehmen soll, oder ob der charakteristische Einsatzton gis einfach als » bloß « melodischer Vorhalt zum ei-gentlich ›harmonieeigenen‹ Ton a aufgefasst werden kann, wie es ja analog auch mit dem folgenden ais zum h durchwegs zu geschehen pflegt.9 In diesem zweiten Fall (b) hieße aber die » eigentliche « Tristan-Harmonie nicht f–h–dis1–gis1, sondern f–h–dis1–a1, ein Terzquartakkord der Doppeldominante von a-Moll mit tiefalterierter Quinte f als Basston, der sich in den Dominantseptakkord von a-Moll auflöst. Unter dieser Perspektive erhält der » abspringende « Leitton dis–d auch seine notationstech-nische Plausibilität (Bsp. 5)! 8 Dazu auch Martin Vogel (s. Anm. 4), S. 90–91.9 Zu diesem Problem vgl. Reinhard Amon: Lexikon der Harmonielehre. Nachschlagewerk zur dur -molltonalen Harmonik mit Analysechiffren für Funktionen, Stufen und Jazz-Akkorde, Wien – Mün-chen – Stuttgart 2005, S. 40f.