560 Gerhard J. Winkler Anfangsakkordes vorgeführt wird.12 Der Takt 36 ist literaturnotorisch,13 weil er, ob-zwar in enharmonisch unterschiedlicher Schreibung f–ces–es1–as1, mit Wagners Tri-stan-Akkord identisch ist, und dies auch noch in absoluter Tonhöhenlage. Dieses Gebilde, stufentheoretisch nichts anderes als ein Septakkord der zweiten Stufe in es-Moll in Grundstellung – die Präsentation des Hauptthemas in der Mollvariante der Haupttonart war T. 33 unmittelbar voraus gegangen –, wird von Beethoven durch den Schritt es–d auch zunächst » normal « und » leitereigen « aufgelöst, und zwar in den verminderten Septakkord f–ces–d1–as1, der auf es-Moll bezogen den Terzquartakkord der siebenten Stufe repräsentiert. (Man könnte sich bei dieser Auf-lösung in einem Gedankenexperiment vorstellen, dass parallel mit dem Auflösungs-schritt es–d auch das ces in das b » mitgeht « , dann läge mit der Harmonie f–b–d1–as1 ein Terzquartakkord der Dominante von es-Moll vor, womit auch die dominanti-sche Funktion dieser ›normalen‹ Fortschreitung unterstrichen wäre.) Beethoven se-quenziert diesen Vorgang zunächst um einen Ganzton höher, führt jedoch dann in T. 42–44 den analogen Akkord g–des1–f1–b1 über die Basslinie g–ges–f » tristanoid « in die F-Dur-Harmonie weiter, die den Auftakt zum Seitensatz in der Dominante B-Dur bildet. In Bsp. 6 seien die entscheidenden Takte 41–44 dieses Übergangs wie-dergegeben, wobei auch das Gedankenexperiment der dominantischen » normalen « Lösung mit berücksichtigt ist.Notenbeispiel 6 Diesen Takten 43–44 liegt jedoch nichts anderes als das bei Mozart bereits beobach-tete Kadenzmodell zugrunde, wobei auch hier die » tristanoide « Septimenfortschrei-tung von der Antepenultima zur Penultima erfolgt.14 Das beweist, dass man es bei Mozart nicht mit einer verblüffenden singulären Zufallskoinzidenz zu tun hat, son-dern mit einem in der Literatur wiederkehrenden Kadenzmodell, das in diesen Ex-empeln von » tristanoiden « Fortführungen sozusagen » mit entdeckt « wurde. 12 Vgl. ebd., S. 242. Es handelt sich um das im Zitat Anm. 7 genannte » Beethoven-Beispiel « .13 Ernst Kurth: Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners ›Tristan‹, Berlin 31923 (Nachdruck Hildesheim 1985), S. 74. 14 Der Autor möchte davon absehen, zur Demonstration des Sachverhalts nochmals die Tristanschen Melodievorhalte zu applizieren. Kinzler (s. Anm. 4), S. 242, hebt an dieser Stelle die Parallelen zum Tristanakkord hervor: » Darüber hinaus […] findet (wie bei Wagner) ein Stimm- und Lagentausch zwischen den beibehaltenen Tönen statt: die Stimme, die das b2 hat, springt in das des3, während das des1 ins b2 absteigt (bei Wagner bekanntlich das h ins gis, während das gis1 als chromatischer Durch-gang über das a1–ais1 zum h1 geht.«