Über ein phrygisches Kadenzmodell in der Ahnenreihe des Tristan-Akkords 561 IV.Im Anhang zum Haupttext dieser Studie wird eine wie immer unvollständige Zu-fallsfundliste » vor Wagner « wiedergegeben, aus der sich die Varianten und Gestal -ten dieses Gebildes diversifizieren lassen.Das Modell pflegt im Moll-Kontext aufzutreten, als Begleiterscheinung eines Bassdurchganges vom Tonikagrundton zum Dominantgrundton, repräsentiert also eine Art Halbkadenz oder Kadenz-» Klausel « ,15 mit der als Abschluss eines Ab-schnitts ein nachfolgender (Wieder-)Einsatz der (oder einer neuen) Tonika voraus-signalisiert wird. Dieser Bassdurchgang muss kein vollständiger Passus duriusculus sein, muss aber in jedem Fall die letzten beiden Schritte zum Dominantgrundton in chromatischer Folge enthalten, auf a-Moll bezogen (wie im Folgenden sämtliche De-monstrationen) also: fis–f–e. Da das Gebilde sich als ein Resultat von Stimmfüh-rungs- oder Harmoniebildungsvorgängen über einen Bass verstehen lässt, pflegt es in Grundstellung aufzutreten, d. h. Umkehrungen, in denen die chromatische Linie nicht in der Bassstimme liegt oder wo aus den Septimenparallelen in Umkehrung Sekundenparallelen entstehen, sind zweifellos denkbar,16 entbehren jedoch der har-monischen Plausibilität und haben daher wenig Chancen, im Rahmen einer Kadenz in natura zu erscheinen. Man kann sich das Kadenzmodell – wieder in einem Gedankenexperiment, wie fiktiv auch immer – entstanden denken aus einer Folge von Septakkorden über Quart-Quintschritten von der Molltonika zur Dominante, bei der der letzte Drei-schritt im Bass durch einen chromatischen Durchgang » abgekürzt « wird (Bsp. 7a, b): Dies würde die Schreibung fis–f (statt ges–f) sowie die doppeldominantische Orien-tierung dieses Schrittes (Vertretung für die Doppeldominante im Rahmen einer aus-komponierten Dominante) für plausibel erscheinen lassen.Notenbeispiel 7 Nun schließlich zum » harten Kern « des Kadenzmodells selbst, der aus drei aufein-ander folgenden Akkorden besteht.15 Vgl. zum gesamten Komplex Peter Giesl: Von Stimmführungsvorgängen zur Harmonik. Eine An-wendung der Clausellehre auf Wagners ›Tristan‹, in: Die Musikforschung 52 (1999), Heft 4, S. 403–435.16 Vgl. dazu das dritte Beispiel bei Kinzler aus Ravels » La Valse « (s. Anm. 4), S. 242–243!