568 Hans Christian Schmidt-Banse des Rhetors kühner Gedankenflug und seine noch kühneren Demonstrationen am Pianoforte zum unvergesslichen Eindruck wurden – vielmehr hatten es Horstmann (als Physiker ein Ahnungsloser im Reiche der Musik) die wunderlichen, an Wendell Kretschmar aus Thomas Manns » Doktor Faustus « gemahnenden mimetischen Exu-beranzen des Vortragenden angetan, jene (wenn ich so sagen darf) kinzlerspezifisch nervöse Wuseligkeit, die ihn, Horstmann, zur strahlend begeisterten Bemerkung hinriss: » Und ich hatte gedacht, so ein Typ Professor wäre längst ausgestorben!« . Ist er nicht. Schöner noch: während der kommenden Jahre hat sich dieser Typ gewis-sermaßen stabilisiert, indem er sich zur singulären Figur eines Hochschullehrers entwickelte, den seine Scholaren wenn nicht immer verstanden, so doch immer auf das Herzlichste verehrten. Ausnahmslos. Paradoxon einer imperfekten Perfektion Man möchte das Geheimnis solch kollektiver Sympathie wissen? Ich weiß es auch nicht. Ahne nur, dass es zusammenhängen könnte mit einer Fülle an Absonderlich-keiten, welche sich zum Psychogramm eines Lehrenden addieren, der gemäß einer tiefen pädagogischen Einsicht stets große Wirkung hatte, ohne je Erfolg zu haben (was nota bene für uns alle gilt, freilich anders als bei ihm). Obendrein habe ich die Vermutung, sein unverwechselbares pädagogisches Relief sei womöglich damit zu erklären, dass er um didaktisch-methodische Glasperlenspiele einen weiten Bogen macht, vornehmlich um pädagogische Transsubstantiations-Dogmen neueren Da-tums mit multikultureller Wertschöpfung – immer mit der Vorgabe, davon nichts zu verstehen oder nichts davon zu halten. Ja, was dann? Für ihn gilt, so glaube ich, das Paradoxon einer imperfekten Perfektion. Und fängt man an, just hier zu graben, wird man schnell eine Vielzahl an Widersprüchlichkeiten trüffeln, wo scheinbar nichts zusammenpasst und doch alles auf das Glücklichste sich fügt … nicht immer harmonisch, aber das sollte uns bei einem Wanderprediger der emanzipierten Dis-sonanz nicht wundern. » … mit der dunkel erregten Phantasie von Kindern « Sein musikalisches Wissen ist enzyklopädisch, das muss einem der Neid lassen. Es dürfte wohl kein Stück geben, von dem Kinzler nicht wüsste, dass in Takt 37 oder Takt 341 ein Neapolitaner scheu versteckt sei; wahrscheinlich kennt er jede Schluss-wendung, die mit dem Sieben-Dreizehner vorbereitet wird. Im Zusammenhang mit dem ersten ›Funkkolleg Musik‹ erinnere ich mich der Empörung von Herausgebe-rin Helga de la Motte, in ihren Manuskripten habe ein gewisser Kinzler 14 sachliche Fehler nachgewiesen, ärgerlicherweise zu Recht – auf den müsse man ein Auge ha-ben. Wir in Osnabrück hatten es, gottlob. Allerdings ist bis auf den heutigen Tag nicht sicher, ob er dieses Wissen eins-zu-eins weiterzugeben in der Lage ist. Ob er es nicht einfach nur zelebriert in geradezu kindlicher Begeisterung an der Fülle motivi-