Postludium 569 scher Korrespondenzen, harmonischer Querstände und kontrapunktischer Doppe-lungen. Kinzlers verschlungenen Gedankengängen zu folgen ist schwer, Studieren-den oft unmöglich. Wenn das so ist, was nehmen sie trotzdem mit? Zum einen die kostbare Erfahrung, einer sprühenden und in gewisser Weise rücksichtlosen Geistig-keit teilhaftig zu sein. Zum anderen die Wahrnehmung der ewig jungen Faszination eines überbordenden Wissens an sich selbst. Drittens das Staunen über einen rätsel-haften Algorithmus, von dem man ahnt, er sei der Schlüssel zu allen Theorien der Musik und der musikalischen Analyse. Viertens dürfte das Geheimnis der Kinzler'-schen Lehre einer Vermutung von Thomas Manns Serenus Zeitbloom entsprechen:» Ich unterbreche mich in meiner Wiedergabe, nur um aufmerksam zu machen, daß der Vortragende da von Dingen sprach, die noch gar nicht in unseren Ge-sichtskreis fielen und nur am Rande desselben erst durch sein immerfort gefähr-detes Sprechen schattenhaft vor uns auftauchten; daß wir ihn nicht zu kontrollie-ren vermochten außer durch seine eigenen erläuterten Vorführungen am Piano-forte, und dem allen mit der dunkel erregten Phantasie von Kindern zuhörten, die Märchen lauschen, welche sie nicht verstehen, während ihr zarter Geist sich doch auf eine eigentümlich traumhaft ahnungsvolle Weise dadurch bereichert und gefördert sieht […]. Will man glauben, daß dies die intensivste und stolzeste, vielleicht förderlichste Art des Lernens ist – das antizipierende, das Lernen über weite Strecken von Unwissenheit hinweg? Als Pädagoge sollte ich ihm wohl nicht das Wort reden, aber ich weiß nun einmal, daß die Jugend es außerordentlich be-vorzugt, und ich meine, der übersprungene Raum füllt sich auch mit der Zeit wohl von selber aus.« Nehme ich (nach Thomas Mann ein » gewöhnlicher Mensch « ) Kinzler'sche Skripte zur Hand, beschleicht mich die ungute Gewissheit, dieser ›übersprungene Raum‹ werde sich bei mir auch in absehbarer Zeit nicht ausfüllen, von selber schon mal gar nicht.» … nicht aber die Tonhöhe g1 mit ihrem Nebenton « » Da sich die Ausgangskonstellation zunächst auf nur zwei Töne bezieht, ist für das darauf Folgende eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten gegeben. Sicher die am nächsten liegende Form ist eine unmittelbare Wiederholung der Tonhö-henkonstellation, also das, was wir im zweiten Takt tatsächlich vorfinden. Daß in Takt zwei das g1 zwar wieder akkordeigen, aber nicht mehr die Quinte, sondern die Oktave über dem Grundton eines Akkordes, nämlich der Dominante, ist, ver-weist zugleich auf eine weitere Gestaltungsmöglichkeit der Fakturmodellerfin-dung hin: Die akkordeigenen Töne können Bestandteile unterschiedlicher Akkor-de sein – hier also zunächst der Tonika und der Dominante. Das generierende Moment wäre dabei also die Variation eben dieses Parameters. (Bei Schumann etwa stehen für die Tonfolge c, a, es der Dreiklang der siebten Stufe von B-Dur bzw. dessen Hauptseptakkord zu Verfügung oder der Dreiklang der zweiten